Dienstag, 16. Dezember 2014

kEwL! - Erinnerungen an VIVA


Es ist schon einige Sonnenumrundungen her, dass es noch Musikfernsehen gab. Die Älteren unter euch werden sich sicher erinnern. Das altehrwürdige MTV flimmerte ja schon seit Anfang der Achtziger über die Mattscheiben, und war auch noch im darauf folgenden Jahrzehnt ein unverzichtbarer Bestandteil jeglicher musikalischen Sozialisation. Irgendwann während des Höhepunkts der ebenso kunterbunten wie geschmacksbefreiten Spaßwelle zu Beginn des letzten Jahrzehnts des zweiten Milleniums muss es sich zugetragen haben, dass einige findige Damen und Herren die Idee forcierten, einen deutschsprachigen Musik- und Jugendsender zu starten. Und so kam es, dass am 1.12.1993 die sogenannte Videoverwertungsanstalt auf Sendung ging.

Besser bekannt ist diese Anstalt natürlich als VIVA. Ich würde behaupten, dass so ziemlich jeder, der irgendwann zwischen 1980 und 1990 geboren wurde, irgendwelche Erinnerungen mit dem in Köln beheimateten Sender verbindet. Das, was VIVA in den ersten Jahren seiner Existenz so einzigartig machte, waren zwei Dinge: Enthusiasmus und Dilettantimsus. Geld war nämlich nur spärlich vorhanden, sodass die Moderatoren (auch VJs genannt) vor ziemlich billigen Pappkulissen herumturnen und ihre Sendungen größtenteils am seidenen Faden der Improvisation abwickeln mussten. DIes taten sie jedoch mit einer an Hyperaktivität grenzenden Begeisterung, die sich auch auf das jugendliche Publikum übertrug. Die Moderatoren der Neunziger, allesamt um die 20 Jahre alt, waren nicht nur reine Clipansagemaschinen, sondern auch Identifikationsfiguren für eine ganze Generation von fernsehschauenden Heranwachsenden. 


Nicht vergessen: Wir befinden uns hier noch in der guten alten Zeit. Internet wurde pro Minute abgerechnet und Handys waren so groß (und unpraktisch) wie Telefonzellen. Dennoch wurde Interaktivität bei VIVA groß geschrieben. Viele Shows drehten sich darum, dass Zuschauer beim Sender anriefen, sich Clips wünschen durften oder bei Spielen mitwirken konnten. Besonders das sinnig betitelte "Interaktiv" war diesbezüglich das Flaggschiff. Bei dieser Sendung wurden Stars greifbar, indem sie auf dem quietschbunten Sofa dümmliche Fragen der mindestens koffeinisierten Moderatoren beantworteten und dem gruselig gekleideten und aknegeplagten Teeniepublikum im Studio sogar noch ein Ständchen gaben. Bisweilen nutzten Prominente die Show auch für ganz und gar boshaften Schabernack. So trat Hape Kerkeling als finnischer Rocker "R.I.P. Uli" auf und brachte mit seiner Kooperationsunlust die ziemlich überforderte Moderatorin Milka (ja, die hieß wirklich so!) zur Verzweiflung.


VIVA fungierte für viele heute noch bekannte Mediengrößen als Startrampe, so machten unter anderem Heike Makatsch, Stefan Raab oder Matthias Opdenhövel ihre ersten tapsigen Schritte im Lichte der TV-Kameras der Videoverwertungsanstalt. Auch mediale Unsäglichkeiten wie Oliver Pocher oder Gülcan Kamps durften ihr eher überschaubares Talent bei VIVA der Öffentlichkeit präsentieren. Während meiner VIVA-Zeit (1995 - 1999) lief der Sender eigentlich fast jeden Tag nebenbei, bzw. wurde angezappt, wenn woanders gerade Werbung lief. Meine absolute Lieblingssendung jener Tage war das von Tobias (Tobi) Schlegl moderierte "kEwL". Diese Sendung kann am ehesten mit dem Wort "Anarchie" beschrieben werden. Angelehnt an die immens erfolgreichen Formate des Stefan Raab drehte sich bei "kEwL" alles um den fröhlich dahinbrabbelnden Moderator, der sich fast nach Belieben austoben durfte.


Neben den üblichen Videoclips bestach Schlegls Show vor allem durch eingestreute Comedy-Filmchen, die den Jungspund in allerlei verfänglichen Situationen zeigten, bzw. parodistisch angelegt waren. Der behaarte und urkölsche Sidekick Schlegls in diesen Filmen war der "Minipli Man", ein Zeitgenosse, der ungefähr den selben Sex-Appeal wie eine durchschnittlich attraktive Mettwurst verströmte. Der "Minipli Man" begegnete den infantilen Späßen seines Counterparts mit rheinischem Gleichmut, woraus nicht selten herrlich absurde Situationskomik entstand. Unvergessen ist zum Beispiel "Müchü Mün", eine ganz und gar schauderhafte Neuvertonung obskurer türkischer Actionstreifen aus grauer Vorzeit:


Mitte bis Ende der Neunziger war VIVA derart erfolgreich, dass sich die Betreiber sogar den Luxus erlauben konnten, einen weiteren Kanal an den Start zu bringen: VIVA ZWEI widmete sich der alternativen Musik, und errang binnen kürzester Zeit Kultstatus bei Fans schräger Klänge. Die Person, die VIVA ZWEI verkörperte wie keine andere war Charlotte Roche, deren radikal verdrehte Interpretation des Girlie-Prinzips perfekt in Zeit und Glotze passte. Profitabel war das "andere" VIVA sicherlich nicht, es zeugt jedoch von gewissem Mut, in einer Ära, in der die alternative Musik in Ziellosigkeit und Epigonentum badete, einen solchen Sender zu lancieren. Und natürlich gab es auch echte musikalische Perlen zu entdecken, wofür ich und sicherlich viele meiner Altersgenossen Roche, Kavka, Clein (Gott hab ihn selig...) und Kollegen  sehr dankbar sind.


Mit VIVA ging es spätestens nach der Jahrtausendwende steil bergab. Der Siegeszug des Internets bedeutete auch eine existenzielle Krise für das Musikfernsehen. Plötzlich musste man nicht mehr Stunden vor dem TV verbringen, um "sein" Video zu sehen. Auch die meisten Moderatoren der Anfangstage hatten dem Sender den Rücken gekehrt und sich auf mehr oder minder erfolgreiche Karrierewege begeben. Einzig der unverwüstliche Mola Adebisi blieb dem Sender bis 2004 erhalten. Auch VIVA ZWEI wurde bereits 2002 zur Klingeltonhölle VIVA plus umstrukturiert. Der letzte Unterhaltungsfaktor, der durch VIVA populär wurde, war der heute omnipräsente Klaas Heufer-Umlauf, der zwischen 2004 und 2009 bei dem Kölner Sender arbeitete. Der Charme der Anfangstage war da aber schon längst verflogen. 

Heute existiert VIVA tatsächlich immer noch, auch wenn es inzwischen dem amerikanischen Medienkonzern Viacom gehört und nur noch äußerst selten Musikvideos ausstrahlt. Wer heute bei VIVA landet, wird meistens von Cartoonserien begrüßt. Sic transit gloria schundi.



DING DONG, ZWOBOT IST TOT.

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