Samstag, 24. August 2013

Top 100: 30 - 26

Jetzt betreten wir die 10/10-Zone. Im Lauf der nächsten vier Wochen erfahrt ihr nun die dreißig Platten, die ich derzeit mit auf die vielzitierte einsame Insel nehmen würde. Alben, die ich nicht nur für musikhistorisch relevant und künstlerisch herausragend halte, sondern die auch meinen persönlichen Werdegang maßgeblich mitbestimmt haben.

30 Dire Straits - dto. (1978)
Mark Knopfler kann nicht singen. Zwar hat der Mann eine recht angenehm klingende Stimme, leider beschränkt sich deren Tonumfang nur auf das Brummregister. Dass Mark Knopfler nicht singen kann, fällt einem beim Konsum seiner Musik ziemlich schnell auf - nur selten wagt er einen Ausbruch aus der monotonen Nuschelei. 

Mark Knopfler kann dafür Gitarre spielen. Zwar hat der Mann eine nicht von der Hand zu weisende Abneigung gegen Plektra, aber das, was er mit viel Fingerspitzengefühl aus seiner Stratocaster (und diversen anderen Gitarren) zaubern kann, ist einmalig. Der Knopfler-Sound ist unverkennbar: Singend, gefühlvoll, angereichert mit vielen kleinen Licks und Bendings. Und plötzlich macht auch sein Gemurmel Sinn: Melodien, die er mit der Stimme nur anzudeuten vermag, nimmt die Gitarre auf und verleiht ihnen Tiefe und Kontur.

Aber Knopfler allein macht noch kein Album für die Ewigkeit - eine These, die seine anständigen, aber meist recht biederen Soloalben der jüngeren Vergangenheit bestätigen. Im Rahmen seiner Band "Dire Straits" sieht die Sache schon ganz anders aus. Gemeinsam mit seinem Bruder David, Bassist John Illsley und Drummer Pick Withers gelang Mark Ende der Siebziger der Durchbruch, sowohl in künstlerischer als auch in kommerzieller Hinsicht. 

In einer Zeit, die vor allem von den Nachwehen der Punkwelle bestimmt war, fielen die Dire Straits gründlich aus dem Rahmen. Geschepper und Genöle suchte man vergebens, der Stil der Band kennzeichnete sich durch einen lässig-unbeteiligten Groove, ausschweifende Solopassagen und das bereits hinreichend gelobhudelte Gitarrenspiel ihres Frontmannes. Die Songs an sich waren unauffällig: Clever arrangierte Rocklieder, die sich deutlich hörbar beim Folk bedienten, keine überlangen Rockepen, keine verquasten Soundexperimente.

Während die Dire Straits in späteren Jahren zu einer Stadionband werden sollten, die sinnbildlich für den Gigantismus der Achtziger stehen würde, war davon auf ihren ersten Platten glücklicherweise wenig zu spüren. Das für nur wenige tausend Pfund aufgenommene Debütalbum "Sultans of Swing" kommt ohne jeglichen Schnickschnack aus. Schlagzeug, Bass, Gitarren, Gesang - fertig. 

Womit wir endlich bei diesem verfluchten Lied angelangt wären: Es heißt ebenfalls "Sultans of swing", dauert ca. sechs Minuten und ist unzerstörbar. Ich weiß nicht, wie oft ich es schon gehört habe, aber im Gegensatz zu anderen akustischen Machwerken nutzt sich dieser Song einfach nicht ab. All die kleinen Details (Lieblingsstelle: das Drumfill in der Mitte des Liedes), all die liebevoll eingestreuten Gitarrenspielereien. Und dann natürlich dieses Solo! Ein Arpeggio, das Türen öffnet. 

Man täte dem Debüt der Band jedoch unrecht, wenn man sich nur auf den größten Kassenschlager beschränkte. So sind der treibende Opener "Down to the waterline" oder das einschmeichelnde "Wild west end" nicht weniger unkaputtbar als "Sultans of swing".


29 Mike Oldfield - Amarok (1990)
Es folgt ein Auszug aus meiner umfangreichen Mike Oldfield-Retrospektive:
"Amarok" macht es einem nicht einfach. In schneller Folge werden Motive verschiedenster Couleur aneinandergereiht, die stilistische Bandbreite reicht von rasend schnellen Akustikgitarrenriffs über irische Volksweisen bis hin zu atonalen Lärmpassagen, bei denen u.a. Haushaltsgeräte und Spielzeuge zum Einsatz kommen. Zudem besitzt das Album eine immense Dynamik: Während manche Teile kaum hörbar aus den Boxen dringen, werden die Ohren des Hörers andernorts von schrillen Warntönen und Zischlauten traktiert.

Man muss also erstmal eine Menge Geduld mitbringen, um überhaupt einen Zugang zu diesem Monstrum zu finden. Trotz der offensichtlichen Bemühungen des Musikers, ein möglichst provokantes Stück Musik abzuliefern, sind die meisten Melodien auf "Amarok" aber dennoch äußerst einprägsam - die Hauptschwierigkeit bei der Erschließung der Platte ist die schiere Menge unterschiedlichster Stile, die hier zusammengeworfen werden. Kaum hat man sich mit einer Melodie angefreundet, wird sie von einem neuen Motiv gewaltsam hinweggefegt.

Hat man sich aber durch die ersten fünfundvierzig Minuten gekämpft, wird man mit einem der famostesten Enden aller Zeiten belohnt. Die lapidar mit "Africa I", "Africa II" und "Africa III" betitelten Schlussteile erinnern in Rhythmik und Melodieführung stark an "Ommadawn" - Oldfield deutete in einigen Interviews an, sich bewusst an seinem wohl besten Werk orientiert zu haben. Die Basis für "Africa" bildet ein monotoner Trommelrhythmus, in mehreren Wellenbewegungen wird das Hauptmotiv des Albums variiert und unterschiedlichen Auflösungen zugeführt. Zu Beginn des letzten Abschnitts des Finales erklingt eine an Margaret Thatcher angelehnte Frauenstimme, die folgendes verkündet:

"Hello everyone. I suppose you think that nothing much is happening at the moment. Ah-ha-ha-ha-ha. Well, that's what I want to talk to you all about; endings. Now, endings normally happen at the end. But as we all know, endings are just beginnings. You know, once these things really get started, it's jolly hard to stop them again..."

Die falsche Thatcher ist ein genialer Kunstgriff. Ihre Ansprache stellt den einzigen zusammenhängenden englischen Text des Albums dar, sie schiebt sich genau dann zwischen Hörer und Musik, als letztere endlich in nachvollziehbare Bahnen geraten scheint.

Und dann endet es, und wie es endet. Minutenlang baut sich ein letztes Mal Spannung auf, ein kaum zu bändigender afrikanischer Chor setzt immer wieder an, die Klimax-Melodie zu singen, ein letztes Mal atmet man auf - und wird dann der puren Euphorie der großen Coda aus den Latschen geblasen. Was in dieser letzten Minute von "Amarok" passiert, ist schwer in Worte zu kleiden. All die Spannung entlädt sich, all die nur unzureichend zu Ende gebrachten Versatzstücke sind vergessen. Wenn mich jemand nach einer Definition von Musik fragen würde, müsste ich ihm oder ihr dieses Finale furioso vorspielen. So klingen Glücksgefühle.
Wie bereits angedeutet, sind nicht alle Passagen auf "Amarok" so perfekt; es gibt Längen (v.a. zwischen der 35- und 40-Minuten-Marke), es gibt merkwürdige Übergänge, und manche Sprünge wollen sich auch nach dem fünfzigsten Hördurchgang nicht recht erschließen. Dennoch entdeckt man bei jedem Hören etwas Neues, sei es eine versteckte Flötenmelodie oder ein kleines Räuspern, das als Einleitung eines neuen Teils fungiert.

Woher Oldfield dieses Album geholt hat, ist ein Rätsel. Es ragt wie ein Monolith aus der ernüchternden Mittelmäßigkeit seines späteren Schaffens heraus. Aus heutiger Sicht wirkt "Amarok" wie ein aus der Zeit gefallenes, letztes Aufbäumen des Genies, das nicht einsehen will, dass seine beste Zeit lang vorbei ist.

28 Kraftwerk - Trans Europa Express (1977)
Jetzt betreten wir dünnes Eis. Die Nesseln sind nahe, die Angst ist groß. Verbotene Wörter wie "Pioniere" und "Avantgardisten" geistern durch den Verstand, Klischees drängen auf ihre Niederschrift. Vielleicht sollten wir zunächst einmal bei den Fakten bleiben: Kraftwerk gelten zurecht als herausragende Künstler, da sie zu den ersten gehörten, die elektronischer Musik aus dem Klammergriff der Neuen Musik zu befreien wussten. Gänzlich auf digitale Klangerzeugungsmittel zurückzugreifen, war sicherlich ein Geniestreich - ohne den Pop-Appeal hätte die Düsseldorfer Band jedoch wahrscheinlich kaum mehr als eine eingeweihte Minderheit für sich gewinnen können. 

Dabei waren Kraftwerk nicht immer Roboter gewesen. Auf den ersten Alben der Gruppe finden sich noch zahlreiche "echte" Instrumente, und auch von der technoiden Unterkühltheit ist noch relativ wenig zu spüren. Erst auf "Autobahn" (1974) hielt der unverkennbare Kraftwerk-Sound Einzug. Die Folgejahre waren von einer langsamen Hinwendung zur Popmusik geprägt, welche schließlich auf dem Album "Die Mensch-Maschine" (1979) abgeschlossen sein sollte.

Zwei Jahre davor erschien "Trans Europa Express": Der Wille zum eingängigen Popsong war hier bereits deutlich erkennbar, jedoch fanden sich auch noch einige experimentellere Stücke auf der Platte. Schon die schiere Länge einiger Tracks (vier Stücke sind länger als sechs Minuten) weist darauf hin, dass die Singlecharts für Kraftwerk noch kein Thema waren. Stattdessen zelebrieren sie die Monotonie: Die pluckernden Drumloops und sägenden Synthielinien mögen heute zwar ein wenig angestaubt klingen, an Faszination haben sie jedoch nur wenig eingebüßt.

Kritiker bemängelten den "Futuristenkitsch" ob seiner recht blauäugigen Nicht-Texte, die teilnahmslos dahingesungenen Wortfetzen ergänzen jedoch die karg arrangierten Klangreisen durchaus passend. Das, was Kraftwerk jedoch wirklich vortrefflich beherrschten, waren jene simpel anmutenden Melodien, die sich unbarmherzig ins Großhirn brennen und die man auch Tage nach dem Hören noch vor sich hinsummt.

27 Depeche Mode - Songs of faith and devotion (1993)
Diese Platte war so etwas wie die Initialzündung für mich als Sporthörer. Als ich im Sommer 1998 mehr oder minder zufällig in den Besitz des Albums gelangt war, kannte ich nur wenig Musik, die nicht tagtäglich im Radio lief. Dementsprechend wurden meine Hörgewohnheiten grundlegend auf den Kopf gestellt, als ich zum ersten Mal diesem Album lauschte.

Depeche Mode waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der "Songs of faith and devotion" bereits absolute Superstars. Die Band, die Anfang der Achtziger mit ziemlich harmlosem Synthiepop gestartet war, hatte sich spätestens seit "Black Celebration" zu einem Mainstreamphänomen entwickelt. Unwiderstehlich eingängige Refrains, bedeutungsschwangere Texte und die nicht von der Hand zu weisenden Starqualitäten des Frontmannes Dave Gahan hatten nicht nur Teenager in ihren Bann gezogen. Die Briten füllten Stadien. (diesbezüglich empfehle ich die noch immer beeindruckende Dokumentation "101".)

Nachdem das Quartett 1990 mit "Violator" seinen Status als wahrscheinlich größte Popband des Planeten eindrucksvoll untermauert hatte, waren die Erwartungen an den Nachfolger groß. Hits wie "Personal Jesus" und "Enjoy the silence" hatten sich nachhaltig in die Gehörgänge eines Millionenpublikums gefressen. Und die Massen wollten Nachschub.

Der Songwriter der Band, Martin L. Gore, hatte schon länger mit Einflüssen aus Blues und Soul herumgespielt, wobei der Sound der Gruppe stets eindeutig elektronischen Ursprungs gewesen war. Auf "Songs of faith and devotion" standen nun plötzlich E-Gitarren im Zentrum, eine Tatsache, die höchstwahrscheinlich auch dem Wunsch Gahans nach einem rockigeren Klangbild entsprungen war.
Von der minimalistischen Klarheit, die v.a. "Music for the masses" und "Violator" geprägt hatte, war demnach wenig geblieben. "SOFAD" ist großkotzig, bombastisch, überkandidelt. "Pathetisch" ist ein fast schon zu harmloses Adjektiv, um die Musik zu beschreiben.

Bereits die drei Eröffnungstracks "I feel you", "Walking in my shoes" und "Condemnation" machen klar, wohin die Reise geht. Gahan gröhlt wie ein besessener Priester, die Gitarren kreischen. Es gospelt im Karton. Empfindsamere Seelen mögen dieses Gehabe befremdlich finden, mich riss sie damals aus meiner musikalischen Lethargie. So etwas hatte ich noch nicht gehört.

Der Höhepunkt des Albums ist ohne Zweifel das sechsminütige "In your room", ein schizophrener Song über Abhängigkeit und Besessenheit. Das Schlagzeug, das nach ca. der Hälfte des Songs hereinbricht, treibt das Lied unaufhaltsam dem Kollaps entgegen. Ein ebenso simpler, wie genialer kompositorischer Einfall.

Auch wenn die zweite Albenhälfte ein wenig abfällt, zählt "Songs of faith and devotion" zu den besten Alben von Depeche Mode. Es ist gleichzeitig das letzte Werk, das die Gruppe als Quartett fertigstellen konnte - nach der desaströsen "Devotional"-Tour verabschiedete sich Klangtüftler Alan Wilder von der Band. Und Dave Gahan hätte sich beinahe aus dem Leben verabschiedet, aber das ist eine andere Geschichte.

26 The Smashing Pumpkins - Mellon Collie and the Infinite Sadness (1995)
Dass Billy Corgan einmal größtenteils Schund veröffentlichen würde, hätten die meisten Musikfans Mitte der Neunziger für unmöglich gehalten. Zu vielseitig, zu virtuos waren die Alben, die Corgan mit seiner Band "The Smashing Pumpkins" auf den Markt brachte. Schon das 1993 erschienene "Siamese Dream" hatte gezeigt, welche Stilvielfalt Corgan und Kapelle beinahe mühelos unter einen Hut bringen konnten. Mit dem zwei Jahre später fertiggestellten Doppelalbum "Mellon Collie and the Infinite Sadness" setzten die Pumpkins noch einen drauf. 28 Songs, keine Kompromisse. 

Man weiß gar nicht so recht, womit man anfangen soll - die Anzahl der Ausfälle auf "Mellon Collie" lässt sich an einer Hand abzählen. Das Album gleicht einer Achterbahnfahrt: Zärtliche Balladen wechseln sich mit wüstesten Metalriffs ab, Corgan raunt, keift und singt als gäbe es kein Morgen mehr. Billy duldet zudem keine Götter neben sich, nur die wenigsten Lieder stammen nicht zur Gänze aus seiner Feder. Dennoch wäre es ungerecht, die Leistung seiner Mitmusiker unter den Tisch fallen zu lassen. Erst durch die schiere Urgewalt des Schlagzeugspiels von Jimmy Chamberlin und die Effizienz von Gitarrist James Iha und Bassistin D'Arcy Wretzky ist der Pumpkins-Sound komplett. (Dies wird v.a. bewusst, wenn man sich die neueren Alben der unlängst von Corgan wiederbelebten Band anhört.)

"Mellon Collie and the Infinite Sadness" bietet für beinahe jede Gefühlslage das passende Lied. Hass? "x.y.u.". Liebe? "Lily". Euphorie? "Tonight tonight". Melancholie? "1979". Selbstzerstörung? "An ode to no one". Die Liste ließe sich noch eine ganze Weile lang fortsetzen. Hier wird das Meisterwerk mit Gewalt erzwungen. Und trotz der extrem unterschiedlichen Stile passt alles am Ende irgendwie zusammen, obwohl manchmal die Bogensehne bis zum Zerreißen gespannt ist. (so ist z.B. der Wechsel von "To forgive" zu "An ode to no one" an Brutalität kaum zu übertreffen.)

Die Singlecharts

Es folgt ein schon etwas älterer Text, den ich Anfang 2012 geschrieben habe. Da die Kernaussage (Die Masse ist taub.) jedoch immer noch zutrifft, habe ich mich dazu entschieden, ihn euch nicht vorzuenthalten. Vorhang auf für die Singlecharts!

21. Silbermond - Himmel auf
Was macht dich glücklich? Oh Gott. Da reden Menschen. Glück ist, wenn die Sonne scheint, wenn man  die Augen aufmacht, Zufriedenheit, Frieden auf der Welt. Scheiß die Wand an, was ist das denn hier?  Kirchentag für Würstelbudenbesitzer? Und wann geht eigentlich der Scheißsong wirklich los? Glück  hängt nicht vom Geld ab. Okay, da gibts keinen Song. Einfach nur Leute, die erzählen, was für sie  Glück ist. Unterbrochen werden die Banalitäten vom Singsang der Silbermond-Frontfrau. "Wann reißt  der Himmel auf, auch für mich?" Hoffentlich bald, und hoffentlich fährt ein Blitz hernieder, der sie  von der Erde tilgt. Glück ist Leben.

20. Stefanie Heinzmann - Diggin' in the Dirt
Soso, die gibts also auch noch. Schmatzende Bassdrum, simpler Beat. Steffi eiert sich recht solide  durch eine harmonisch banale Strophe, bevor eine ebenso nichtssagende Bridge die Pforten für den  Refrain öffnet, in welchem Heinzmann die Rockröhre mit purem Seggs flutet. Im Video hampelt übrigens  ne Band rum, wobei man im Arrangement eigentlich nur Stefanies Gesang, den Bass, nen Chor und die  Drums hört. Gitarre nix da.
Aber der Gitarrist kann geil nicken beim Nixtun. Der Song steuert nun so langsam dem Ende entgegen,  wie üblich dauert ein Popsong ja nur eine Minute, die restlichen zwei bestehen aus Wiederholungen  der vorherigen Teile. Und Ende.

19. DJ Antoine - Ma Cherie
Ja Himmelarsch, da singt ein Franzose Englisch. Die Bassdrum pappt an den Boxen wie Honig am Arsch  der Hölle. Der Song besteht aus einer simplen Akkordfolge, die für drei Minuten durchkonjugiert  wird. Der Refrain punktet mit klaren Gesangsharmonien. Der Kontrast zwischen "modernen"  Synthiesounds und einem Akkordeonsample lässt darauf schließen, dass dieses Lied primär dem  Broterwerb dienen soll. Clever ists zwar nicht, aber zumindest eingängig. Ideal für die nächste  Busenwackelfete in Kevins Vorgarten.

18. Marlon Roudette - Anti Hero
Smoother Beat, unaufdringliche Mollharmonien. Semi-eunuchaler Gesang. Der erste Song, der nicht  direkt nervt, sondern sich in die Kategorie "wird durch das Radio zum Folterinstrument" einordnen  lässt. Das Lied lässt sich gut wegnicken, aber auch ebenso gut und v.a. schnell wieder vergessen.  Auch hier wieder das leidige Popphänomen: Der Song nimmt kein Ende.

17. Ed Sheeran - The A Team
Der erste Kommentar neben dem Video: "Hiphop is geiler", von einer gewissen Melissa Zicke, die auf  ihrem Foto aussieht wie 13, und das wahrscheinlich auch ist. Na habadere. Das Lied läuft entspannt  an, Akustikgitarre, schmalzig-schmelziger Männergesang. Die Refrainmelodie erinnert angenehm an  frühere Tage. Eigentlich ists ja recht schön, dass es tatsächlich noch Leute zu geben scheint, die  leise und gleichzeitig kitschige Popmusik schreiben wollen. Gutes Lied.

16. Taio Cruz - Troublemaker
Whohoo, jetzt gehts in den Club. Oder in die Dorfdisse, das dürft ihr entscheiden. Vocoderpower,  Autotune-Attacke. Und dann gehts los: Die leidigen synkopierten Retrosynthies, der leidige  "emotionale" Gesang, die Chöre des Leidens. Taio Cruz hat alles, und noch lange nicht genug. Das  klingt alles so, als hätten sich Coldplay davon inspirieren lassen. Und nun eine Bridge, die so auch  aus den 90ern stammen könnte, Stottergesang inclusive. HOEEOOOHEEOO. Hallo Stadion.

15. Avicii - Levels
Kompressor, ick hör dir trapsen. Die Zukunft ist so abgefahren, da paaren sich Vierviertelbeats mit  den irrsten Faderspielerein seit der Erfindung des Mettigels. Der Track versucht erst gar nicht, in  irgendeiner Weise Interesse beim Hörer zu wecken, sondern hämmert einem die simple Melodie mit dem  Dampfhammer ins Gehirn. Breakdown in der Mitte, jetzt kommt sicher gleich Frau...ah da ist er schon,  der Frauengesang. Schön, dass man sich auf manche Dinge im Leben noch verlassen kann. Nun, da das  auch abgehandelt wäre, heißen wir unseren Freund, die Trisomiemelodie, wieder willkommen und erinnern uns schweigend an Christian Wulff.

14. Christina Perri - Jar of Hearts
Oh, die sieht ja aus wie Amy Winehouse vor den Drogen. Schnuckelig. Eine Klavierballade, ganz in der Tradition der 90er-Heulbojen, wobei der Gesang hier bewusst vom Understatement lebt. (vielleicht  kann sie aber auch nicht besser singen...) Der Refrain arbeitet ganz fies mit Harmonien, die man schon  so oft gehört hat, dass man beim ersten Mal mitsingen kann. Und nein, Frau Perri, da hilft auch eine  pseudodramatische Bridge nix mehr. Das nervigste an dem Song ist aber der quäkende Gesang unserer  Heldin. Gottlob ists bald überstanden. "Who do you think you are?" Das frag ich mich auch gerade.

13. Deichkind - Leider geil
Irgendwie schon geil.

12. Deichkind - Bück dich hoch
Ufftata, jetzt wirds lustig. Karneval is doch schon vorbei? "Bück dich hoch, komm steiger den  Profit." Ist das jetzt ironisch, oder wirklich doof? Hier wird meisterhaft mit den Erwartungen des  Publikums gespielt, so viel ist klar. Man kann zu dem Lied nicht wirklich viel schreiben. Es befriedigt  mehrere Zielgruppen auf einmal, und es war sicher auch schnell fertig.
"Wir steigern das Bruttosozialprodukt!", na sowas, wir sind ja so Popkultur. Widerlich.

11. Ivy Quainoo - Do you like what you see
Ah, "The Voice of Germany" macht einen auf Shirley Bassey und Bond-Soundtrack. Die Stimme der Frau  hat in der Tat Klasse, der Song ist leider langweilig, aber was erwarte ich eigentlich? Wobei  man aus dem Lied mit einer knackigeren und v.a. etwas roheren Produktion viel rausholen könnte. Die  Gitarre ist zu zahm, die Bläser zu dezent, der Gesang zu glasiert. Nächstes Lied bitte.

10. Jason Derulo - Breathing
Okay, jetzt wirds wieder richtig schlimm. Der Mann guckt aus der Wäsche wie R.Kelly nach der  Stammhirnentfernung. Die üblichen Vocoder- und Autotune-Spielereien, four on the floor. Und dann der  Refrain: "I only miss you when I'm breathing" Wahnsinn. Und es wird noch besser:  Ayayayay singt der Chor! Me gusta? Eines muss man Jason aber lassen: Die Mitgliedschaft im Fitnessstudio hat sich  gelohnt.
Wie emotional ergriffen er singt! Man möchte ihn am liebsten per Gnadenschuss von seinem Leid  erlösen.

9. David Guetta - Turn me on (feat. Nicki Minaj)
Okay, nun also der Großmeister der Dancefloor-Retro-Kacke. Erstaunlich zahnlos produziert. Das Video  thematisiert zum ersten Mal überhaupt in der Menschheitsgeschichte die Mär von der Mensch-Maschine.  Zum Glück kann man Nasen heute künstlich klein halten. Zur Musik muss man nicht viele Worte  verlieren, der Höhepunkt ist der Teil, in dem die Sängerin einen auf Raggamufti himself macht.

8. Unheilig - So wie du warst
"Hab keine Angst, ich bin da für dich" Ist das eine Drohung? Und hat es nicht schon mal ein Lied von  Unheilig über Verlust und Vergänglichkeit gegeben? Fragen über Fragen. "So wie du warst, bleibst du  hier." Das ist ekelhaft, schlicht ekelhaft. Pathetische Chöre, patschendes Schlagzeug. "Ich bin  stolz auf unsere Zeit." Das hier ist ganz, ganz schlimmer Schlager. Ich zitiere die Kommentare:  "Warum rührt mich dieses Lied so?" "Weil es zum Nachdenken anregt." Ich lasse das mal so stehen.

7. Flo Rida - Wild ones (feat. Sia)
Genug gelitten, auf nach Dubai! Jetzt gibts wieder dick Disco ins Gesicht. Uffz uffz, und sogar  gerappt wird hier wie entfesselt. Gekonnt schafft der Sprechsänger es absolut nichts zu auszusagen,  und dennoch dreißig Sekunden in synkopierten Sechzehntelketten dem Beat Paroli zu bieten. "Hey I heard you like the wild ones" Jawoll, hier ist die Jugend, hier gehts rund. Ärsche ohne Ende,  sowohl vor als auch hinter der Kamera, bzw. dem Mikrophon. Ich habe selten eine nichtssagendere  Refrainmelodie gehört. SO WILD! Da muss man ja wie einer der Opas aus der Muppetshow enden.

6. Gotye - Somebody that I used to know
I begin to see a pattern. Jetzt also wieder ein akustisches Lied, vorgetragen von einem mageren  Typen, der wie ein echter Künstler aussieht. Sehr minimalistisch und hypnotisch, erinnert ein wenig  an eine Kreuzung aus Manu Chao und Sting. Das Arrangement bleibt unaufdringlich. Jetzt kommt noch ne  Frau dazu, die auch recht hübsch singen kann. Fazit: Der beste Sting-Song seit 20 Jahren.

5. Aura Dione - Friends
Suzanne Vega und Whigfield in einem Intro! Ich befürchte fast, dass das schon der Höhepunkt des  Songs war. Stoischer Beat, der so auch aus dem Jahr 2000 stammen könnte. "At least I got my fri - eh  - eh - eh" Hiermit verleihe ich Aura den Rihanna-Umbrella-ella-eh-eh-Gedächtnispreis. Nettes Kinderlied.

4. Sean Paul - She doesn't mind
Yaaay, Sean da Paul. Held der sexistischen Einheitspartei und bekennender Sonnenbrillenträger seit nun bald 10 Jahren. Unerreicht in Gestus und Vortrag lässt Sean Paul hier deutlich raushängen, dass  ers nicht mehr nötig hat, sich ernsthaft anzustrengen. Das Video legt zumindest nahe, dass der Herr  potenter als ein Ochse ist. Zum Song: Das interessanteste Feature ist der minimalistische Beat, der  die diversen Synthiepads, Chöre und sonstigen Spielereien zusammenhält. Eine Hymne für den Sommer im  Freibad Wanne-Eickel.

3. Die Ärzte - Zeidverschwändung
E-Gitarren, dass es die noch gibt... Selbstironie, die nur abgeschmackt daherkommt. Selbstreferentieller,  ach-so-ironischer Mist. Wegen Belas grandiosem Gesang allerdings durchaus noch hörbar. Zumindest dieses erste und letzte Mal.

2. Olly Murs feat. Rizzle Kicks - Heart skips a beat
So langsame verspüre ich Ermüdung. Jugendlich aussehende Menschen tanzen und haben voll die  hässlichen Klamotten an. Wir sind ja auch im 21. Jahrhundert, da ist ironische Ironie ironisch  gemeint. (mindestens) Das Lied tut keinem weh, harmlose Offbeats, ein wenig Gesinge, ein wenig  Gerappe. Was macht Timbaland eigentlich mittlerweile?

1. Michel Teló - Ai se eu te pego
Endlich auf Platz 1 angekommen. Ricky Martin hat sich verjüngen lassen? Lambada ist wieder in? Was  zur Hölle ist das denn? Die Ladies im Video scheinen es zu lieben, obwohl Michel ein Gesicht macht,  als hätte sich gerade in die Windeln...lassen wir das. "ossa ossa", Rex Gildo dreht sich stumm im  Grab um, während die hübschen Damen große Augen machen und ihre willigen Körper in die Kamera halten. Song endet, Mensch lebt, Maschine brennt.

Freitag, 9. August 2013

Top 100: 40 - 31

40 Michael Jackson - Thriller (1982)
"Billie Jean", "Beat it", "Thriller". Perfektion hoch drei. Und auch wenn Jackson in seiner Karriere noch für viele weitere Großtaten verantwortlich zeichnete (Geheimtipp: "Who is it"), diese drei Überhits sind seine Fahrkarten in die Unsterblichkeit. Sie sind das Destillat dessen, was sich gemeinhin Popmusik schimpft: Eingängig, melodiös, tanzbar, ohne dabei plump daherzukommen. In Verbindung mit den damals revolutionären Musikvideos erklomm Michael Jackson bis dato ungekannte Höhen, von dem späteren Absturz in die Merkwürdigkeit war 1983 noch wenig zu spüren. Hier war jemand am Werk, der nicht nur singen und tanzen konnte, sondern die Form des Songs zu transzendieren wusste.

Oder gibt es eine bessere Basslinie als die von "Billie Jean"? Eben. Das die genannten Lieder enthaltende Album heißt "Thriller", und es ist meistverkaufteste Popalbum überhaupt. "Thriller" ist kurz und ganz gewiss nicht ohne Makel: Neben tollen Tracks wie "Wanna be starting something" finden sich auch einige mediokre Stücke darauf, u.a. das peinliche "The girl is mine", welches Jackson mit Paul McCartney verursachte. Doch allein wegen "Bllie Jean", "Beat it" und dem Titelsong sollte jeder, der noch Ohren am Kopf hat, dieses Album besitzen.

39 Archive - Noise (2004)
Ich war lange hin- und hergerissen, welches Archive-Album ich in meine Liste aufnehmen soll. Letzten Endes habe ich mich dann für "Noise" und gegen "You all look the same to me" entschieden - auch wenn letzteres mit "Again" den besten Pink Floyd-Song, der nicht von Pink Floyd stammt, beinhaltet. "Noise" also. Eine auf den ersten Blick recht aufdringliche Angelegenehit. "Stay in your coma, in your own frustration" raunzt Craig Walker. Das, was danach kommt, sind Beweise dafür, dass es in manchen Situationen gar nicht genug Spuren geben kann. Gitarren, Soundscapes, triphoppige Beats, mehrstimmiger Gesang, Streicher..."Noise" schreit in jeder Sekunde "Beachte mich! Ich bin groß! Ich bin toll!". Und als williger Klangkonsument bleibt einem nichts übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten. Und falls ihr nicht d'accord geht: Fuck you anyway. (Kenner der Platte wissen, was ich meine.)

Meine ausgeprägte Schwäche für monotone und größenwahnsinnige Musik zwingt mich dazu, dieses Album zu lieben. Und wenn ein Song zehn Minuten dauert, und dabei nur um vier Akkorde kreist, dann muss das eben so sein. "Waste" heißt dieses Lied, und es baut über vier Minuten lang Spannung auf, bis ein brachialer Beat sämtliche Zweifel aus dem Weg walzt. Trotz der teils ausufernden Songlängen bleibt "Noise" jedoch stets greifbar, was vor allem der kristallklaren Produktion zu verdanken ist. Auch die komplexesten Klangüberlagerungen sind klar aufgelöst, jeder Sound, jedes Sample ist genau da, wo es hingehört.


38 Neu! - dto. (1972)
Neu! ist eine jener Bands, die Leute in Listen aufnehmen, weil sie total meta sein wollen. Was dazu führt, dass Neu! in den meisten einschlägigen Listen auftaucht. Gerne wird betont, wie unglaublich innovativ die beiden Schrate, die Geburtshelfer bei Kraftwerk gewesen waren, zu Werke gingen. Und ja, sie machten ihrem plump-genialen Bandnamen tatsächlich alle Ehre. Das, was Neu! auf ihren Platten zelebrierten, hatte die Welt so noch nicht gehört. Die zehn Minuten "Hallogallo" auf dem Debüt des Duos nehmen mal eben das vorweg, was später mit dem Präfix "Post-" versehen werden sollte. Aber was machten Neu! nun genau? Im Endeffekt nicht besonders viel. Ein paar Feedbackkleckse hier, ein monotones Gitarrenriff da, und in der Mitte trommelt der Duracellhase den Achtelbeat, bis ihm die Sticks aus den Pfoten fallen. Ziemlich unspektakulär, und genau deswegen so grandios.

In einer Zeit, in der sich Rockmusik entweder in "Höher-Schneller-Weiter"-Spielchen verlor, oder zur Kostümparty zu verkommen schien, waren Neu! so etwas wie die Kellerkinder, mit denen niemand spielen will - sobald die Kinder jedoch erwachsen sind, und sich endlich auf die Straße trauen, sind alle über die Schönheit dieser merkwürdigen Menschen erfreut.

37 Pink Floyd - Meddle (1971)
"Meddle" ist "Echoes". Selbst wenn auf der A-Seite das herrlich groovende "One of these days" enthalten ist, kann nichts und niemand diese dreiundzwanzig Minuten währende Weltveränderung toppen. Angefangen beim per Klavier und Halleffekt erzeugten Echolot-Sound zieht einen der Longtrack sofort in seinen Bann und lässt einen für den Rest des Lebens nicht mehr los. Wie hier Melodien ineinanderfließen, ist nicht imitierbar. David Gilmour zeigt zudem zum ersten Mal so richtig, welch gefühlvoller Sologitarrist in ihm steckt. Sein später zum Markenzeichen gewordener singender Gitarrensound fügt sich hervorragend in den zurückhaltend arrangierten Klangteppich aus sphärischen Orgelklängen und unbeeindruckt twangender Rhythmusgitarre ein.

Doch erst nach knapp elf Minuten passiert das, was "Echoes" so unfassbar macht: Der Song verschwindet, um jaulenden Unterwasserbotschaften Platz zu machen. Minutenlang wabert es, während Gilmour kreischende Call and response-Figuren in die Weite entlässt, bis schließlich das Echolot zurückkehrt. Bedächtige Akkordprogressionen bilden die Grundlage für einen langsam lauter werdenden Triolengroove. Und dann bricht das Licht durch die Wasseroberfläche. "Shepard-Risset-Glissando" nennt der Musikwissenschaftler diese wellenförmig ineinanderstürzenden Tonfolgen, bei denen man nie genau weiß, um welchen Ton sie nun eigentlich kreisen. "Echoes" markiert den Beginn der Hochphase einer Band, die für einige Jahre vollkommen zurecht die Musikwelt beherrschen sollte.

36 System of a down - Toxicity (2001)
Ich erinnere mich noch gut, wie ich damals versuchte, meinen Freunden System of a down schmackhaft zu machen. "Das ist doch stumpfer New Metal" bekam ich zur Antwort. Und überhaupt: Warum singt der Typ so komisch? Kann man doch nicht hören, sowas. Kann man wohl. Und dazu abzappeln, mitsingen und herumspringen ("Pogopogopogopogo") wie Schmidts Katze. Hochgeschwindigkeitsriffs, nackenbrechende BPM-Zahlen, fast schon absurd tief gestimmte Gitarren - das waren die Grundzutaten des System-Sounds. Doch trotz aller Brutalität blieb stets Raum für ausschweifende Melodiebögen, die Sänger Serj Tankjan in unnachahmlicher Weise auf den Lärm jodelte. Nach dem rauhen und teils noch etwas fransigen Debüt stellte "Toxicity" nicht nur den kommerziellen Durchbruch der Band dar, es sollte auch deren größter künstlerischer Triumph werden.

Zwar leiden v.a. die Singles unter dem Indiedisco-Phänomen, d.h. sie sind trotz ihrer offensichtlichen Qualitäten heute kaum noch genießbar, in der Summe ist "Toxicity" dennoch erstaunlich frisch geblieben. Bollern, bolzen, brettern. Die Aggressivität stakkatoartiger Metalriffs kollidiert mit jazzigen Einsprengseln, Moshparts und folkloristischen Elementen. Songs wie das schlicht geile "Jet Pilot" oder das drückende "Forest" eignen sich immer noch hervorragend zur Kärcherung des Großhirns. Simple Fassung: Aufs Maul und Spaß dabei. Verquaste Fassung: Karnevalisierung für Epileptiker.

35 Einstürzende Neubauten - Silence is sexy (2000)
Am Anfang war der Krach. "Kollaps" lautete das Stichwort, und dementsprechend klang auch die Musik. Lärm organisiert durch Wahnsinn. Doch bereits wenige Jahre nach Gründung der Band sollten die Einstürzenden Neubauten sich gewöhnlicheren Strukturen öffnen, ohne dabei ihre Liebe zur Schlagbohrmaschine zu leugnen. Spätestens seit dem 1996er-Werk "Ende Neu" war jedoch offensichtlich, dass die Zeiten des ungezügelten Lärms vorbei waren. Mit dem vier Jahre später veröffentlichten "Silence is sexy" fanden die Neubauten schließlich zu sich selbst: An die Stelle kaum zu bändigender Noise-Eskapaden war nun die Stille getreten. Und diese wirkte verheerender als jeder berstende Stahlträger früherer Jahre. Zwar bediente sich die Gruppe noch immer höchst ungewöhnlicher Instrumente, im Zentrum der Musik befand sich nun allerdings die Melodie. Bereits der Opener "Sabrina" ist in seiner Zurückhaltung verstörend schön, die eigentlichen Höhepunkte kommen jedoch erst in der zweiten Albenhälfte. So ist z.B. "Sonnenbarke" ein sich unaufhaltsam der Klimax entgegenwindendes Reinigungsritual. "Die Befindlichkeit des Landes" besitzt nicht nur einen der großartigsten Texte der jüngeren deutschsprachigen Musikgeschichte, sondern zeugt auch von den oft stiefmütterlich behandelten kompositorischen Fähigkeiten der Band.

Und dann war da noch das "Redukt". Ein zehnminütiger Monolog Blixa Bargelds über das Selbst und dessen Vergänglichkeit. Von Worten entkleidet bleibt am Ende nur der nackte Schrei im leeren Raum stehen. Ganz großes Kopfkino. Doch die Einstürzenden Neubauten können auch anders, nämlich schelmisch. Sei es "Newtons Gravitätlichkeit", oder der "Musentango", der beschwingt vom ewigen Ringen mit der Inspiration berichtet. ("Nicht unbedingt, aber vielleicht.") "Silence is sexy" ist, um es mit den Worten des späteren Blixa zu sagen, wie das Leben: Kein Irrtum, kein Irrtum und Musik.

34 Portishead - Third (2008)
Niemand hatte mit Portishead gerechnet, als sie 2008 nach über elf Jahren ihr nicht mehr für möglich gehaltenes drittes Album veröffentlichten. Die Musikwelt hatte sich weitergedreht, und es schien, als ob die englische Band auf dem Weg verloren gegangen war. Dass "Third" letztendlich doch noch kam, ist das eine Wunder. Das andere ist, dass "Third" nicht nur der beste Portishead-Longplayer, sondern auch eines der wichtigsten Alben des vergangenen Jahrzehnts werden sollte. Die depressive Grundstimmung, die sich schon durch die ersten beiden Alben gezogen hatte, ist selbstverständlich auch hier vertreten. Doch ist an die Stelle des lasziv-unterkühlten Triphop-Sounds ein ebenso kaputter wie karger Klang getreten. Sängerin Beth Gibbons steht mutterseelenallein zwischen hustenden Maschinen und körperlosen Akustikgitarren.

Nur selten verirrt sich die Hoffnung auf Third, und wenn, dann bleibt sie nicht lange. ("The rip") Mehr Moll passt nicht auf eine CD. Die Tristesse, die Songs wie "Hunter" und "Nylon smile" ausstrahlen, sickert langsam, aber unaufhaltsam in Ohren und Körper. "Third" ist vertonte Agonie. Immer wieder bäumt sich die Musik auf, immer wieder bricht sich der Irrsinn Bahn. Das Schlüsselstück des Albums ist ohne Zweifel das röchelnde "Machine gun", ein metallischer Trip in die Leere, ein Lied wie eine Kriegsnacht. Die drei Synthieakkorde am Ende von "Machine gun" sind härter als Gitarrenriffs es je sein können. Ob Portishead jemals wieder ein Album aufnehmen werden, ist fraglich. Sie müssen es nicht tun.

33 Soundgarden - Superunknown (1994)
Nirvana waren die Punkrocker mit der Liebe für Krach. Pearl Jam waren die Supergroup für den Neil Young-Fan. Alice in Chains waren die Hairmetalband für Depressive. Und Soundgarden? Die hatten die verdammt noch mal besten Gitarrenriffs seit Led Zeppelin. Clever synkopiert, gerne mit einem Gegengroove von Drums und Bass verzahnt, garniert mit hirnverdrehenden Stopps und Breaks. Doch nicht nur die Riffs des Quartetts aus Seattle waren überragend, auch das, was Chris Cornell am Mikro veranstaltete, war aller Ehren wert. Zur Soundgarden-Hochphase (d.h. zwischen 1989 und 1994) spielte er stimmlich in einer Liga mit den ganz Großen des Metal. Jetzt habe ich das böse Wort gesagt. Und ich werde es nicht zurücknehmen.

Die Rifflastigkeit, die relativ verkopften Arrangements, der gepresste Gesang - das sind alles Zutaten, die auch guten klassischen Metal ausmachten. Der Kniff bei Soundgarden ist, dass peinliches Posertum durch Melodiösität und Aggression ersetzt wird. Während das 1991er-Meisterwerk "Badmotorfinger" mehr in die Riffrichtung ging, war der 1994 erschienene Megaseller "Superunknown" weit eingängiger und öffnete sich sogar eher konservativeren Ohren. (v.a. natürlich durch die damals omnipräsente Single "Black hole sun"). Doch bietet "Superunknown" weit mehr: Abgezockte Rocksongs ("My way"), psychopathische Jamausflüge ("Head down"), Löffelsoli ("Spoonman"). Mein persönlicher Lieblingstrack ist und bleibt aber "Limo wreck": Ein zäher Blues mit einem Refrain, der jeden Exorzisten glücklich stimmen muss.

32 Pearl Jam - Yield (1998)
Achtung, rhetorischer Kniff: "Yield" ist das beste Pearl Jam-Album. Erstaunte bis erzürnte Gesichter im Auditorium. Was ist mit den Hits auf "Ten"? Den Schepperorgien auf "Vs."? Den Verschrobenheiten auf "Vitalogy"? Ausholende Geste des Redners. Ja, die sind auch toll. Aber ich bevorzuge "Yield". Weil es der wenig überzeugenden Selbstverstümmelung der beiden Vorgänger ein Ende bereitet hat. Weil es mit "Given to fly" und "In Hiding" zwei dieser unnachahmlich euphorischen Hymnen, die nur Pearl Jam schreiben können, enthält. Weil "Do the evolution" und "Brain of J" ebenso brutal wie augenzwinkernd daherkommen. Weil nur ein einziger überflüssiger Song ("Untitled / Red Dot") auf dem Album ist. Weil Eddie Vedder nie entfesselter gesungen hat. Er keift, nuschelt und nölt wie ein junges Schafott. Und schließlich wegen dieser Zeile: "I'm like an opening band for the sun." Gänsehaut.

31 Nirvana - Unplugged in New York (1994)
Betrachten wir einmal ganz nüchtern die Fakten. "Unplugged in New York" ist ein akustisches Livealbum einer Band namens Nirvana, die mit relativ simplem, aber höchst einprägsamem Geschrammel und Gelärme den Nerv einer ganzen Hörergeneration getroffen hatte. Auf dem Livealbum verzichtet diese Band allerdings größtenteils auf die bekannten Kassenschlager und spielt mehr oder minder obskure Coverversionen. Sie holen sogar die Meat Puppets für drei Songs auf die Bühne. Dabei hätten sie wahrscheinlich Madonna haben können, aber nein, Nirvana wollen die Meat Puppets. Dies verrät viel über das Selbstverständnis der Musiker, v.a. die Sehnsucht ihres Frontmannes nach Kommerzverweigerung wird deutlich.

Doch seien wir ehrlich. Nirvana waren nach "Nevermind" ein Mainstream-Ereignis geworden. Five million Nirvana fans can't be wrong. Kurt Cobain, Gesicht, Stimme und Gitarrenzerstörer der Band, hatte einen Haufen Smashhits geschrieben, betonte jedoch unermüdlich, sich nicht darüber zu freuen. Wohin das schlussendlich führen sollte, ist bekannt. Ebenso bekannt ist, dass "Unplugged in New York" erst ein halbes Jahr nach dem Freitod Cobains veröffentlicht wurde.

Und so wird aus einem simplen Konzert eine beklemmende, beinahe an eine Messe erinnernde Veranstaltung. Cobain legt so viel Leidenschaft in seine Stimme, dass sie an manchen Stellen zu bersten droht. Gerade die erwähnten Covers erstrahlen in dem reduzierten Soundgewand in für kaum möglich gehaltenen Glanz: "The man who sold the world" ist besser als das Original Bowies (und das ist schon verflucht gut), das von den Vaselines übernommene "Jesus doesn't want me for a sunbeam" schmeichelt sich mit einem waidwunden Akkordeon ein. Von den Meat Puppets-Stücken ragt besonders das zittrige "Lake of fire" mit seinem Gottsolo heraus.

Doch all die mehr oder weniger großen Momente eines fantastischen Konzertes verblassen ob des Abschlusssongs: Cobain covert das durch Lead Belly überlieferte Traditional "Where did you sleep last night" nicht, er durchlebt es. Von den beinahe gehauchten Anfangsversen bis hin zum den Song beschließenden Urschrei. Ein Ende, das keine Zugaben zulässt.

Donnerstag, 1. August 2013

Top 100: 50 - 41

Es sind dann doch wieder 10 Alben geworden. Wenn man mal angefangen hat, fällt das Aufhören schwer...

50 Björk - Homogenic (1997)
Björk kann ganz schön nerven. Sie ist ja auch die personifizierte Kuhunst. Avantagardine und so. Dass sie aber auch eine verdammt großartige Sängerin und Songschreiberin ist, vergisst man in diesen Situationen leider. Zum Glück kann man sich dessen leicht erinnern, indem man sich ihr wohl bestes Album "Homogenic" zu Gemüte führt. Während spätere Veröffentlichungen meist recht verkopft daherkamen, ist hier ausnahmsweise das Verhältnis zwischen kühler Elektronik und herzzerreißenden Melodien ausgewogen. Die Koketterie mit mädchenhafter Niedlichkeit hinter sich lassend, zeigt die Isländerin auf ihrem dritten Soloalbum die ganze Bandbreite ihres Talents. Liebeserklärungen wie "Jóga" und "Unravel" berühren ganz unmittelbar. Doch auch die rauheren Momente wissen zu überzeugen: Das stolpernde "Hunter" klingt noch immer taufrisch, und das die Lautsprecher sprengende "Pluto" ist auch heute noch furchteinflößend. Und "All is full of love" ist nicht von dieser Welt.

49 Muse - Origin of symmetry (2001)
Schrecken, der sich Weiterentwicklung schimpft und in Wirklichkeit Ideenlosigkeit ist. Zu finden auf allen Muse-Alben nach "Absoultion". Zwar enthielt "Black holes and revelations" noch einige anständige Lieder, spätestens seit "The 2nd Law" fabriziert das Trio um den exaltierten Frontmann Matthew Bellamy nur noch Edelschrott mit Zuckerglasur. Und jetzt kommt mir nicht mit irgendwelchen Queen-Vergleichen. Auf "Origin of Symmetry" war die Welt allerdings noch in Ordnung. Die Klavierläufe perlen, die Gitarren bratzen. Und Bellamy prügelt seine Stimme in den Himalaya. Neben der hinterfuchsig-eingängigen Single "Plug-in baby" ragen besonders das epische "Citizen Erased" (dieser Basslauf!) und der stürmische Opener "New born" heraus. Natürlich waren sie auch damals schon extrem pathetisch unterwegs, aber im Vergleich zu späteren Kitschhymnen besaßen die Lieder auf "Origin of Symmetry" noch Ecken und Kanten. Anders formuliert: Muse taten damals noch angenehm weh.

48 Bruce Springsteen - Nebraska (1982)
Ich mag Bruce Springsteen nicht. Die Hemdsärmeligkeit. Dieses "Hey, ich bin einer von euch"-Getue. Authentizität, ganz gleich ob real existent oder schauspielerischem Talent entspringend, interessiert mich kein bisschen. Ich bin wegen der Musik da. Und Springsteens Musik ist in der Summe nicht gerade wagemutig. Nun kann man selbstverständlich berechtigterweise einwenden, dass sie das weder sein möchte, noch muss. Führt man sich aber die wenigen grandiosen Alben des amerikanischen Musikers vor Ohren, wird klar, dass er nur selten über seinen Schatten gesprungen ist. Adult oriented rock schimpft sich das. Musik für echte Menschen, so wie du und ich welche sind. Dabei kann Springsteen mehr als Schunkelschlager: Das in kürzester Zeit im hauseigenen Schlafzimmer aufgenommene "Nebraska" zeigt einen anderen Bruce. Einen verletzlichen. Nur von Akustikgitarre und Mundharmonika begleitet, singt er Lieder, die wie das Land klingen, das dem Album seinen Namen verlieh. Durch die spärliche Instrumentierung und den unverstellten Gesang wähnt man sich fast schon zu nah am Geschehen. Die Themen der Songs sind klassisch: Mord und Totschlag, Verrat und Betrug, Einsamkeit und Frustration. Ähnlicher als hier war Springsteen Cash nie.

47 A Perfect Circle - Thirteenth step (2003)
Das Seitenprojekt ist des Musikers liebster Sargnagel. Wenn es mit der Hauptband nicht mehr so recht laufen will, ruft man ein paar Bekannte, Freunde, Wasserträger und Studiomusiker an, um fortan unter neuem Banner dem Untergang entgegenzusegeln. Selbstverständlich sind nicht alle Nebenprojekte Zeugnisse künstlerischer Orientierungslosigkeit, man denke z.B. an Scumbucket oder die diversen Eskapaden der Sonic Youth-Mitglieder. A Perfect Circle, Zweitarbeitsplatz von Maynard James Keenan (Tool) und Hauptbeschäftigung für James Iha (Ex-Smashing Pumpkins) und Billy Howerdel (ursprünglich Gitarrentechniker für diverse bekannte US-Bands), gehört glücklicherweise zu den guten Supergroups / Zweitprojekten. Besonders das zweite Studioalbum der Band, "Thirteenth step", ist ein elektrisierender Mix aus Progressive Rock, Metal und Pop. Weniger vertrackt als Tool, dafür mit einer Menge Mut zur Melodie ausgestattet, kommen die Songs daher. Deutlich merkt man dem Sound an, dass hier Perfektionisten am Werk waren. Beispiele: Das sich aus einem einzigen Ton zu göttlicher Größe aufblähende "The Noose", das verquer-hymnische "The Package", das widerspenstige "Pet". "Thirteenth step" auf die Gitarrenbreitseiten zu reduzieren, wäre jedoch ungerecht. Gerade in den Balladen zeigt sich die ungeheure Raffinesse, mit welcher die Band zu Werke geht. Keenans Sangeskünste sind ohnehin über jeden Zweifel erhaben, mühelos gelingt es dem Vokalisten, von liebreizendem Säuseln zu stimmbandvernichtendem Geschrei (und wieder zurück) zu wechseln.

46 Queen - A night at the opera (1975)
Manche Lieder sind so bekannt, dass man das Gefühl hat, einem Professor das ABC beibringen zu wollen, wenn man über sie schreibt. "Satisfaction", "New York, New York", "Yesterday" wären da einige Kandidaten. Und natürlich "Bohemian Rhapsody", seines Zeichens Freddie Mercurys Miniaturoperette im Dampfhammerstil. "I'm just a poor boy, from a poor family. (...) Scaramouche! Scaramouche! Can you do the Fandango? Thunderbolts and lightnig, very very frightening (me), Galileo, Galileo, Galileo, Figaro..." Ihr wisst, wie es weiter geht. Und ich wette, dass ihr gerade während des Lesens die Melodie im Kopf hattet. Das dazugehörige Album nennt sich "A night at the opera", und ist nicht minder irre als sein größter Singlehit. Musicalelemente, Hardrockriffs, minutenlange Chorpassagen, Queen waren 1975 auf dem Zenit ihres Schaffens. Allein das, was Mercury mit seiner Stimme veranstaltet, lässt einen auch nach über 40 Jahren noch staunen. Schon das an Disney-Soundtracks erinnernde "Seaside Rendezvous" ist angenehm plemplem, der darauf folgende "Prophet's song" ist in seiner Beklopptheit dann derart over the top, dass man ihn lieben muss. "Lalalala, listen to the man, listen to the man! Lalalala". Nicht mehr alle Zacken in der Krone zu haben, scheint mir überlebensnotwendig - und "A night in the opera" bestätigt meine These aufs angenehmste.

45 The Strokes - Is this it (2001)
Ach ja, die Strokes. Die prototypische Hypeband. Reiche Jungs aus New York City, die in ihrer im Überfluss vorhandenen Freizeit die unterkühlten Rocker geben. Arroganz in der Stimme, Understatement aus der Gitarre. Brauchts das wirklich? Aber ja! Unabhängig von all den Debatten über die Relevanz der Band enthält deren Debüt schlicht fantastisches Songmaterial. Die Verbindung aus Velvet Underground-Gedächtnis-Geschrammel und bewusst dumpf gemischtem Genöle sollte eine ganze Heerschar von Nachmachern heraufbeschwören. An das "Original" kam natürlich niemand heran, nicht einmal die Strokes selbst. Lieder wie "Last Nite" oder "New York City Cops" sind aber auch verdammt schwer zu toppen. Besonders tiefgründig sind die Schlager auf "Is this it" natürlich nicht, aber beinahe jeder Song besitzt einen genialen Moment. Mal ist es ein verspult eingestreutes Solo ("The modern age"), mal ist es ein Refrain, der einem ein debiles Grinsen ins Gesicht zaubert. ("Barely Legal"). Ein Album, das einfach Spaß macht.

44 PJ Harvey - Let England shake (2011)
"Let England shake" ist eine Sammlung von Abgesängen. Die Songs entsprechen Verabschiedungen alter Welt- und Selbstverständnisse, man nimmt Teil an einer beklemmenden Reise durch ein kaputtes Leben. "What is the glorious fruit of our land? Its fruit is orphan children." Zynischer und wahrer gehts kaum. Dazu dengeln die verhallten Gitarren im Shoegaze-Modus und PJ Harvey gibt die stimmlich extrem wandlungsfähige Unheilsverkünderin. Ein spukiges, ein im nicht-ironischen Sinne gruseliges Album. Minimale Mittel, maximale Wirkung. "All and everyone" zieht einem beispielsweise förmlich den Boden unter den Füßen weg, und alles, was es dafür benötigt, sind vier Akkorde und ein paar Posaunen. Kaum ein Ausfall befindet sich auf "Let England shake", einer Platte, die binnen kürzester Zeit Klassikerstatus erlangt hat - und das vollkommen zurecht.

43 Snoop Doggy Dogg - Doggystyle (1993)
Ihr dürft nun mit Gegenständen nach mir werfen. Snoop Dogg vor Queen? Vor Led Zeppelin? Sakrileg! Nun, ich habe eine Schwäche für den wohl bekifftesten Pimp der Rapgeschichte. Niemand kann so unglaublich entspannt davon berichten, dass er der Geilste ist, wie Snoopy D-O-Double-G. Das Debüt des "Doggfather" ist stlistisch noch eindeutig der "G-Funk era" zuzuordnen. Die furztrockenen Grooves aus der Feder Dr Dres bilden die perfekte Basis für Snoops lasziv-arroganten Singsang. Neben den offensichtlichen Hits "What's my name?" und "Gin & Juice" befinden sich noch zahlreiche weitere Knaller auf dem Album, allen voran das angeblich gefreestylte "Tha Shiznit" und das herrlich doofe "Lodi Dodi". Das, was Calvin Broadus hier abliefert, ist ganz großes Entertainment. Keine einzige langweilige Sekunde gibt es auf "Doggystyle", selbst die auf HipHop-Alben meist eher überflüssigen Skits sind hier derart panne, dass man sie feiern muss. ("Everybody's got to hear the shit, on WBALLZ, WBALLZ, WBALLZ") Sicherlich ist Snoop Dogg nicht der beste Rapper aller Zeiten, der coolste war er Anfang der Neunziger aber definitiv.

42 Queens of the Stone Age - Rated R (2000)
"Nicotine, Valium, Vicodin, Marijuana, Ecstasy and Alcohol. C-C-C-C-C-Cocaine!" Achtelnoten voll auf die Zwölf. Simpel, aber effektiv gelang den Queens of the Stone Age auf ihrem zweiten Album das, was nach der Implosion der Grunge-Musik Mitte der Neunziger für undenkbar gehalten wurde: Eine unpeinliche Wiederbelebung puristischer Rockmusik. Im Zentrum des Sounds der Queens steht das Gitarrenspiel Josh Hommes, der brutale Riffs ebenso entspannt aus dem Ärmel schüttelt wie psychedelische Soli. Dazu gesellen sich die abgezockten Bassläufe von Nick Oliveri, der nicht nur ganz hervorragend herumbrüllen ("Quick and to the pointless"), sondern auch erstaunlich liebreizend singen kann. ("Auto pilot") Wären nicht einige schwächere Tracks auf "Rated R" vertreten, müsste man das Album sogar höher als das zwei Jahre später erschienene "Songs for the Deaf" einordnen. Ein geiler Trip für heiße Tage.

41 R.E.M. - Automatic for the people (1992)
"Nightswimming" ist das schönste Lied der Welt. Das Klaviermotiv, die Streicher, diese verdammte Oboe. Die Stimme, der Text: "Nightswimming deserves a quiet night. I'm not sure these people understand. It's not like years ago, the fear of getting caught." Vier Minuten lang steht die Zeit still, vier Minuten pure Melancholie. Und weil R.E.M. sich mit einem perfekten Song nicht zufriedengeben, folgt auf "Nightswimming" "Find the river", welches das 1992er-Album "Automatic for the people" beschließt. "Pick up here and chase the ride, the river empties to the tide, all of this is coming your way". Ein Lied über das Sterben und das Loslassen, und ein Lied, das zeigt, weswegen R.E.M. von Millionen von Menschen auf der Welt geliebt werden. 

Es sind nicht ausschließlich die großen Hits wie das unvermeidliche "Losing my religion" (von "Out of time"), sondern auch jene Kleinode(n), die ganz unaufdringlich menschliche Gefühlslagen in Songform übersetzen, die einen nicht mehr loslassen wollen. Anfang der Neunziger waren R.E.M. auf dem Gipfel der Popularität, nachdem sich "Out of time" millionenfach verkauft hatte. Anstatt dem Zeitgeist (laute Gitarren) zu folgen, veröffentlichten sie mit "Automatic for the people" eine meist leise und stets zurückhaltend daherkommende Songkollektion. Neben den bereits genannten Übersongs befanden sich zahlreiche weitere Schönheiten auf dem Album, allen voran natürlich das ätherische "Drive" und das beschwingte "Man on the moon". Und was ist mit "Everybody hurts", dem Lieblingslied aller Taschentuchhersteller und Wunderkerzenproduzenten? Nun, auch wenn die Melodie hübsch ist, hat man sich an dem etwas zu kitschigen Song recht schnell sattgehört. Dies schmälert die Qualität des Gesamtalbums jedoch nur bedingt. Ein Inselkandidat.