Freitag, 31. Januar 2014

2014: Eine Vorschau

Endlich, endlich ist die Pause vorbei. Prüfungen, medizinische Notfälle und die sogenannte Kunst standen einer termingerechten Fortführung dieses Blogs im Januar leider im Wege. Nun, da sich das Dickicht des echten Lebens ein wenig gelichtet hat, bin ich wieder da und werde meine wohl durch die Pause und überlange Sätze etwas geschrumpfte Leserschaft bis auf Weiteres mit Texten zu Klängen zu unterhalten versuchen. Vielleicht nicht ad infinitum, aber dafür mit Infinitiven:

"Erwarten" ist zum Beispiel so einer. Das zu elf Zwölfteln vor uns liegende Jahr wartet mit einigem musikalischen Potential auf. Die Alben, auf die ich mich am meisten freue, bekommen im Folgenden ein wenig Hoffnungsschimmer aufn Kopp. Einige bevorstehende Gurken sollen allerdings auch nicht unerwähnt bleiben...

So ist doch tatsächlich angeblich und hypothetisch denkbar für das Ende des Jahres ein neues Tool-Album angekündigt. Nichts genaues weiß man natürlich nicht, aber die Gerüchteküche ist ja schon seit längerem fleißig am brodeln. Maynard und Kollegen sollen schon seit längerer Zeit intensiv am Nachfolger zu "10000 days" werkeln, und sofern sich Danny Carey nicht die Arme bricht, dürfte das Album mindestens eine spannende Angelegenheit werden. Können sie es noch? Und haben sie sich neu erfunden oder geht es auf den Pfaden von "Lateralus" und "10000 days" weiter? Für mich ist jedes Tool-Album ein Blindkauf, auch wenn ich zugeben muss, dass ich die alten Sachen kaum noch höre.

Es gibt ja auch zu viel gute Musik da draußen. Okay, Limp Bizkit machen eher was anderes, aber dass sie nach dem nur halb beschissenen "Gold Cobra" weitermusizieren würden, war ja abzusehen. "Stampede of the Disco Elephants" soll das neue Scheibenkleisterwerk der Mannen um Ex-Rotkäppchen Fred Durst heißen. In Sachen Debilität reicht dieser Titel sicher nicht an das seinerzeit frankapotente "Chocolate starfish and the hot dog flavoured water" heran, aber was tut das schon.

Ein ziemlich guter Titel ist dagegen "Hammer und Michel" (VÖ: 11.4.). So nennt sich das neue Werk von Jan Delay, einem Mann, der in den letzten Jahren eher durch Unauffälligkeit auffiel - wofür ich ihm gar nicht mal so undankbar war. "Mercedes Dance" war schon gewaltiger Schund, damals. Und die Vorabsingle "Wacken" ist zu krass für meinen Metastab. (Wohlgemerkt: Zu krass, nicht zu gut. Messen werde ich erst nach Release.)

Ein paar Wochen vorher kommt "Out among the stars" (VÖ: 21.3.) auf den Markt. Der Künstler? Johnny Cash. Weiß der Himmel (oder der Rubin), wie viele Alben da noch aus übriggebliebenen Sessions und Demos (re)konstruiert werden können. Sofern das neue Werk der Legende aber ähnlich behutsam kompiliert und vervollständigt wurde wie die postum erschienenen Episoden der American Recordings-Serie, muss nicht mit Leichenfledderei gerechnet werden.

In Sachen "Neue Alben von Lieblingskünstlern" sieht es ohnehin recht vielversprechend aus. Mit "Mystoria" wollen Amplifier den eigentlichen Nachfolger zum Mammutwerk "The Octopus" veröffentlichen, und auch die Eels kehren am 18.4. mit "The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett" zurück. Ansonsten: Motorpsycho (yeah!), Modest Mouse (yeah! yeah!), Udo Jürgens (...).

In good ol' Schland werden sich des Weiteren Olli Schulz und Marcus Wiebusch einen heißen Kampf um die Vorherrschaft am Tresen der Befindlichkeiten liefern. Für mich steht der Sieger aber jetzt schon fest. Wer Kettcar sagt, muss Bobbycar meinen. Da ist nur noch der Uhlmann schlimmer. Konkurrenz erhalten die Herren durch Judith Holofernes, die gerade ihr erstes Soloalbum herausgebracht hat. Sympathisch wie sie immer noch ist, wird man ihr auch das abkaufen, wenngleich vom einstigen Verve doch so einiges verloren gegangen ist.

Der Rapfreund kann sich auch auf einige Perlen freuen, persönlich fiebere ich v.a. den Alben von Kendrick Lamar, Outkast (wer weiß, ob es denn wirklich kommt...), Mobb Deep und Nas entgegen. Azad, Farid Bang, Fler und noch ein paar andere bosshafte Resthirnentsafter werden ebenfalls neue Alben releasen. Möge der Pöbel weiterhin Kalkül und Attitüde zum Zentrum seines sinnspendenden Medienkonsums machen, ich hab was anderes vor.

Und dann war da noch Lemmy, der Nichtmehrsoganzunkaputtbare. Ende letzten Jahres ließ Herr Kilmister verlautbaren, dass es von ihm 2014 ein Soloalbum geben würde. Wobei es sich wohl eher um ein Kollaborationsalbum handeln dürfte, da illustre Gäste wie z.B. Dave Grohl, Skin oder Joan Jett mitgemacht haben sollen. Moment mal, Joan Jett? Ja, genau die. Dass sie mit Lemmy eine Neueinspielung des Kapitalverbrechens "I love Rock'n'Roll" zu verantworten hat, ist wohl nicht zu befürchten. Falls doch, gilt: Lemmy darf das. Auch wenn er damit Schmerzgrenzen überschritte.

Schon Schluss? Nicht ganz, denn eine hab ich noch; Mariah Carey.

Glitter auf mein Haupt, ich habe Angst.

Donnerstag, 30. Januar 2014

Top 100, 17: Bright Eyes - Lifted (2002)

Einige Alben kommen genau zur rechten Zeit. Als ich gerade 17 geworden war, befand ich mich in einer reichlich konfusen Lebensphase. Die Pubertät hinter mich lassend war ich zwar nicht mehr ganz so verstört wie noch einige Jahre zuvor, dennoch empfand ich das Leben als fortwährende existenzbedrohende Krise. Meine Desorientiertheit und emotionale Instabilität machte mich daher empfänglich für Musik, die ich bis dato nicht einmal mit der Kneifzange angefasst hätte. Bevor ich erwachsen wurde, musste Musik stets laut und verzerrt sein - eine selbstverschuldete Geschmackseinschränkung mit der ich sicher nicht alleine groß geworden bin.

Ich hatte 2001 begonnen, regelmäßig das Musikmagazin VISIONS zu kaufen, und ich verdanke dieser Zeitschrift in Bezug auf meine Hörbiographie immens viel. Da ich privat noch keinen Internetzugang besaß, musste ich mir meine so dringend benötigten Informationen zu neuen Bands durch das Musikfernsehen und eben Presseerzeugnisse holen. Als im Herbst 2002 ein Album mit dem ellenlangen Titel "Lifted, or: The story is in the soil, keep your ear to the ground" in den Schönheiten des Monats auftauchte, war mein Interesse rasch geweckt. Depressiv und verletzlich sollte die Musik klingen, mit deutlich hörbaren Country-Einflüssen, aber auch schräg und verstörend. Ideal also für einen wirren Teenager.

Manche von euch werden sich vielleicht noch an jene Zeit erinnern, in der man beim Müller CDs probegehört hat. Mit einem Stapel Tonträger vor sich stand man an der ungemütlichen Kasse und registrierte belustigt, wenn nebenan jemand einen BRAVO Hits-Sampler durchhörte. (Ernsthaft: Was gibt es da durchzuhören? Ob auch wirklich alle Lieder drauf sind?) Mein erster Kontakt mit "Lifted" fand an genau an so einem Kassentresen statt. Ich weiß noch genau, wie mich das erste Lied "The big picture" umgehauen hat. Die anfängliche Irritation, die von dem hörspielähnlichen Intro hervorgerufen worden war, wich schnell blankem Staunen. Da sang ein Typ acht Minuten lang jämmerlich falsch zu einer denkbar unvirtuos gespielten Gitarrenbegleitung, bis ihm schließlich die Stimme entzwei ging und das Lied inmitten des Höhepunktes abbrach - und mir gefiel es.

Ich kaufte das Album, und es wurde ein treuer Begleiter während der folgenden Jahre. Es ist zwar angebracht, darauf hinzuweisen, dass Oberst auf "Lifted" teilweise mit dem Gejammer über die Stränge schlug, gestört hat mich das jedoch nur äußerst selten. Zu berührend waren die teils opulent orchestrierten, teils entwaffnend simpel gehaltenen Lieder. Lieblingstracks möchte ich gar nicht benennen, "Lifted" ist ein Album, das erst in Gänze gehört seine Schönheit entfaltet.

Dennoch wäre es unangebracht, nicht wenigstens einige Songs herauszugreifen, um die ganze emotionale Wucht und Bandbreite des Albums zu illustrieren. So thematisiert Oberst in dem martialisch dahinstampfenden "Method Acting" die Misere, in der sich wohl jeder Künstler früher oder später wiederfindet: Eingekeilt zwischen Ausdruckszwang und Publikumserwartung ist man häufig zu einer Selbstinszenierung gezwungen, die mit Selbstverleugnung einhergeht. Trotzdem gilt es, stehenzubleiben und weiterzusingen. Stille gibt es früh noch genug zu beweinen.

Der Grundtenor von "Lifted" ist melancholisch, teils sogar offen depressiv. Wenn Conor in "Waste of paint" die Gitarre würgt und dabei in ellenlangen Strophen von Identitäts- und Schaffenskrisen berichtet, lässt das nur jene kalt, die Balladen von Bryan Adams für gelungene Liebeslieder halten. Überhaupt, das Liebeslied. Eine Unmöglichkeit, an der sich dennoch jeder Songwriter früher oder später versucht. Oberst gelingen mit dem sehnsuchtsvollen "You Will. You? Will. You? Will. You? Will" und dem zwischen Hoffnungslosigkeit und Trotz pendelnden "Laura Laurent" zwei besonders berührende Exemplare jener Liedgattung. 

Am Ende steht ein Satz, der das gute alte "All you need is love" in ein neues Licht rückt: "To love and to be loved - let's just hope that is enough." Es muss genug sein. Es muss einfach.