Montag, 30. Dezember 2013

Angehört 2013: Alben

Endlich, endlich. Das Jahr dauert weniger als 48 Stunden und die Böller liegen bereit. Ich habe die besinnliche Zeit dazu genutzt, noch einmal in mich zu gehen und meine zehn Lieblingsalben des zurückliegenden Jahres auszuwählen. Die eine oder andere Überraschung werdet ihr garantiert finden. 

Grouper - The man who died in his boat
Auf "The man who died in his boat" passiert nicht viel. Ein wenig verhuscht-verhalltes Geschrammel, ganz viel Delay und eine Stimme, die sich dem Hörer entzieht, so weit weg scheint sie zu erklingen. Dazu rauscht und knackst es deutlich hörbar, wenn Liz Harris das Tonband ein- und ausschaltet. Nichts für HiFi-Fetischisten also, aber genau die richtige Musik für mich. Flüsterpost für Zweifler, Flaschenpost für Ertrinkende.
Kanye West - Yeezus
Der "Hooked on a feeling"-Gedächtnispreis des Jahres 2013 geht an Kanye West, der mit dem unfassbar bescheuerten Video zu "Bound 2" ein würdiger Fackelträger in der langen Kette von Unglücksfällen, deren erstes Glied "The Hoff" war, geworden ist. Über das Album "Yeezus" habe ich mich hier schon sehr ausführlich geäußert - und meine Meinung hat sich nicht verändert: Die Platte hat das Zeug zum Klassiker. Unbestreitbar größenwahnsinnig ist dieser Mann, aber auch unbestreitbar großartig.


M.I.A. - Matangi
"There's only one U (u u u u), ring-ding, ring-ding ding ding ding GONG." So oder so ähnlich ließe sich eine der einprägsamsten Stellen auf "Matangi" wiedergeben. Dada? Ja. Gaga? Gottseidank nicht. M.I.A. mag sich bisweilen im Ton vergreifen, im Großen und Ganzen weiß sie aber, wie man Nägel in die Wand hämmert. Humorvoll, sprachgewitzt und nervenaufreibend geht sie zu Werke, nur langweilig wird es nie mit ihr.

Organoid - Inner vacuum
Referenzen für Fortgeschrittene: Wer Wisp mag, wird Organoid lieben! Oleg Marchenko vereint melodischen Ambient, zurückhaltende IDM-Einflüsse und die zugänglicheren Momente eines Aphex Twin zu ebenso schöner wie phantasievoller Musik. Schwebende Klangflächen, ein wenig Glitch und ganz viel Moll. Geräusch, das Schatten wirft.
Sigur Rós - Kveikur
Mit einem gelungenen neuen Werk der Isländer hatte niemand so wirklich gerechnet. Zu bräsig waren die letzten Alben gewesen. "Kveikur" hauchte glücklicherweise dem Sound der Band neues Leben ein. Ein Album voller Lieblingslieder und weltumgreifender Melodien. Anders formuliert: Endlich machen sie wieder die Musik, für die man sie einst innig geliebt hatte.
Atlantean Kodex - The white goddess
Mit Metal kann ich an sich eher wenig anfangen, wenn überhaupt, dann höre ich schrägen Lärm und nichts aus dem True-, bzw. Epic-Genre. Das Zweitwerk der bayerischen Band Atlantean Kodex hat mich jedoch ziemlich heftig erwischt. Großformatige Songs mit Hooks, die nach singenden Stadien schreien. Und im Gegensatz zu anderen Genrevertretern gibts hier Texte mit Sinn und Verstand. Meine persönliche Überraschung des Jahres 2013.
hecq - horror vacui
Dass ich nicht nur Rock und Pop gut finde, ist ja bekannt. Dieses Album hier ist wohl das "undergroundigste", was es in meine Jahresendauflistung geschafft hat. Düstere Elektronik, die gekonnt totgehörte Strukturen und Tonalitäten dekonstruiert. Ein Beweis dafür, dass man sehr wohl Rauschen als Melodieinstrument einsetzen kann und ein Lichtstreif am Horizont der elektronischen Musik. Sound and vision, 2013.
Motörhead - Aftershock
Lemmy lebt immer noch, auch wenn die Zeichen der Zeit langsam aber sicher auf ein Ende der Ära Kilmister hindeuten. Solange Englands Frontwarze jedoch halbwegs aufrecht saufen kann, wird es auch neue Motörhead-Alben geben. Und die Frage nach der Qualität stellt sich bei einem neuen Motörhead-Album ohnehin nicht. Es sind Lieder drauf, mit geilen Riffs, hymnischen Refrains und Gitarrensoli. Mehr muss nicht sein, wofür auch.
Deafheaven - Sunbather
Ich gebe ganz ehrlich zu, dass ich erst durch die Jahreslisten von Pitchfork und Sputnikmusic auf dieses wunderbare Album aufmerksam geworden bin. Postrock mit Black Metal-Gesang und Blastbeats bekommt man auf "Sunbather" geboten, und wer ob einer solch merkwürdig anmutenden Mixtur die Augenbrauen hebt, wird sein blaues Wunder erleben, wenn er sich auf die Musik einlässt. Umwerfender Krach mit teils unfassbar majestätischen Momenten.

Ssio - BB.U.M.SS.N.
Auf inhaltlicher Ebene bietet der Bonner Rapper Ssio Hausmannskost: "Ficken und ticken und kiffen" lautet das Motto, und beinahe jedes Lied auf dem sensationell erfolgreichen "BB.U.M.SS.N." handelt von mindestens einem der drei Kernbegriffe dieses tiefsinnigen Triptychons. Ein weiterer Pseudogangster auf Pennälerniveau zum Vergessen also? Nicht ganz. Ssios abgehackt-melodiöser Style mag nicht der virtuoseste sein, zu den herrlich oldschooligen Beats passt er aber ganz hervorragend. Das Album erinnert stark an den Westcoast-HipHop der mittleren Neunziger, was angesichts des immer noch grassierenden Electrohypes eine akustische Wohltat ist. Hirn in den Standbymodus, rein in den Benz! Prekariat war gestern, "Big King XXL" ist heute.

Freitag, 13. Dezember 2013

Angehört 2013: Angst und Schrecken

Bevor wir zu den Alben des Jahres kommen, möchte ich die Gelegenheit nutzen, ein wenig Hass und Häme loszuwerden. Dass es tonnenweise schlechte Musik gibt, ist ja per se nicht einmal so schlimm - man muss das Elend ja nicht hören. In manchen Situationen (z.B. beim Aufenthalt in Kaufhäusern oder Schankstätten) kann man ihm allerdings nicht entfliehen. Es folgen nun in loser Zusammenstellung einige musikalische Totalschäden der zurückliegenden zwölf Monate.

Adel Tawil - Lieder

Eine der besten Artikelüberschriften des Jahres stammt von laut.de. Adel Tawils neuestes Werk wurde dort mit der schönen Zeile "Adel vernichtet" betitelt. Treffender kann man es kaum formulieren. Ich möchte jetzt gar nicht groß über das Album sprechen, da ich dieses Schandwerk ohnehin nur ein einziges Mal beim Staubsaugen gehört habe. Mir geht es um das Lied namens "Lieder". In diesem Song erzählt der Adel nämlich total clever und anspielungsreich, wie viel ihm Musik doch bedeutet. Dabei nimmt er Verse bekannter Songs auf und metzgert sie so lange, bis nichts außer Sülze übrigbleibt. Schon Adels Ruhmesgrund Ich & Ich stellte für mich so etwas wie die Essenz der neuen deutschen Rührseligkeit dar. Schlager für Leute, die natürlich niemals Schlager hören würden.

Will.i.am feat. Justin Bieber - #thatPOWER

Willi wills wissen. Deswegen hat er sich von seinen Moneten ein großes Tonstudio gekauft, um seine visionären Ideen verwirklichen zu können. Dass Willi einen veritablen Hörschaden hat, weiß er leider nicht. Leider sagt das auch niemand dem Willi, denn das hätte zur Folge, dass dieser aufhören würde, andere Leute zu Kollaborationen aufzufordern und sie so zu den Geldtöpfen zu führen. Pecunia non olet, sagte der Römer - und auch wenn ihn heute keiner mehr so wirklich versteht, hat er immer noch Recht. Den Willi schert das indes herzlich wenig. Er versieht seine Meisterwerke mit Hashtags und passt die Musik seinem tiefergelegten Verstand an. Schlimm ist das, aber auch irgendwo notwendig, denn der Willi wäre ohne die Welt um einiges ärmer.

Do the Harlem shake

Internetmemes kommen und gehen. Nerven tun sie immer recht schnell, manchmal sind sie aber durchaus witzig. Den "Harlem shake" finde ich nicht witzig, zumindest nicht in so einem Maße, dass er mich dazu motivieren würde, ein total lustiges Video mit meinen Arbeitskollegen / Mitbewohnern / Zellengenossen aufzunehmen und dieses anschließend ins Internet zu stellen. Aber "es ist ja auch voll crazy, wenn man mal was Verrücktes macht" (Zitat einer mir bekannten Person). Also ehrlich, wenn ich was Verrücktes machen will, dann sicher nicht mit so einer Scheißmusik im Hintergrund. Da gehe ich lieber auf ein Jürgen Drews-Konzert.


Sportfreunde Stiller - Applaus, Applaus

Es ist so vieles falsch an dieser Band. Der schräge Gesang. Die zwischen Idiotie und Anbiederung schwankenden Texte. Das Überhöhen von Befindlichkeiten zu einem Lebensgefühl. Mit einer Fusselbürste gehörten sie sich verhauen, diese vierzigjährigen Rotzlöffel. Auf dass sie eines Tages doch noch einsehen mögen, dass das mit der Musik vielleicht doch keine so gute Idee war. Aber mei, was will man machen. Sind ja auch so natürlich geblieben, die Sportfreunde. 

Miley Cyrus - Wrecking ball

Hört man ausschließlich auf die Musik, ist "Wrecking ball" gar nicht mal so grässlich. Bei dem Song handelt es sich um eine klassische Popballade mit ausladendem Refrain und leichten Electro-Anleihen. Stangenware also. Aber leider gibt es zu "Wrecking ball" auch ein Video. In dem Kurzfilm reitet uns-Miley auf der Abrissbirne und macht ganz unartige Dinge mit einem Vorschlaghammer. Zumindest war es warm auf der Baustelle, denn Madame Cyrus verbringt einen Großteil des Videos spärlich oder nicht bekleidet. Ich vermute, dass dies Verletzlichkeit und Erotik suggerieren soll, leider verfügt Miley nicht über die nötige Laszivität, um das Ganze würdevoll über die Bühne zu bringen.

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Angehört 2013: Songs

Zehn Lieder, die mich über dieses Jahr hinaus begleiten werden. Die Reihenfolge entspricht keinem Ranking. Falls ihr mehr obskuren Indiekram erwartet habt, muss ich euch leider enttäuschen. Der taucht dann bei den Alben auf.

Lorde - Royals
Wenn das neuseeländische Wunderkind nicht gerade Videoplattformen zum Absturz bringt, macht sie ganz hervorragende Popmusik. Lordes zweite Single "Royals" besitzt nicht nur einen zeitgenössisch minimalistischen Beat, sondern auch einen der schönsten Refrains der jüngeren Vergangenheit. Auf Albumlänge erschöpft sich ihr Stil relativ schnell, was diesem Kleinod hier aber nicht im geringsten schadet. Man möchte die Welt umarmen, wenn der Engelschor "roooyaaaals" singt.


Amplifier - Where the river goes
Um die Zeit bis zum nächsten "richtigen" Amplifier-Album zu überbrücken, erschien dieses Jahr "Echo street", welches größtenteils Neueinspielungen älterer Songs enthielt. "Where the river goes" ist mein persönlicher Favorit der Platte. Das Lied beginnt als zurückhaltende Ballade und endet als Amplifier-typisches Klanggebirge - ein Verlaufsschema, das man bei vielen Songs der Briten vorfindet. Da ich aber erklärter Fanboy der Band bin, verzeihe ich ihnen den mangelnden Innovationswillen und freue mich stattdessen über eine weitere Hymne für Spaziergänge durch Landschaften beeindruckender Natur.


Sigur Rós - Brennisteinn
"Valtari" war ziemlich langweiliger Murks. Kitschige Elfenmusik kann meinetwegen Enya machen, von Sigur Rós erwarte ich dann doch ein wenig mehr. 2013 kann glücklicherweise als das Jahr verbucht werden, in dem die zum Trio geschrumpfte Band noch einmal die Kurve gekriegt hat. Der erste Track des Quasi-Comebacks "Kveikur" ist hierbei besonders beeindruckend geraten. Tonnenschwer dröhnt der verzerrte Bass, das Schlagzeug scheppert wie in alten Zeiten. Und Jónsis Stimme hat, das richtige Arrangement vorausgesetzt, nichts von ihrem Reiz verloren. Ein spektakulärer Song.


Paul McCartney - On my way to work
Dass "Macca" noch einmal ein passables Album aufnehmen würde, hätten wohl selbst die optimistischsten Musikhörer nicht mehr für möglich gehalten. Dank der Hilfe einiger namhafter Produzenten und vieler wirklich toller Songs zählt McCartneys Album "New" aber zu den positiven Überraschungen von 2013. Ein Händchen für Ohrwürmer hatte der Paul ja schon immer, jedoch übertrieb er es allzu oft mit der Catchyness seiner Schlager. "On my way to work" macht hingegen alles richtig. Ein klassischer Popsong mit einer fiesen Sitarmelodie nach dem Chorus und dem für McCartney typischen augenzwinkernden Humor.

Kanye West - Hold my liquor
Was den Medienrummel angeht, war "Yeezus" sicherlich eines der meistdiskutierten Alben dieses Jahres. Der Megalomaniac Kanye ließ es aber auch derbe krachen. Einer der wenigen ruhigen Songs auf "Yeezus" ist "Hold my liquor", ein Lied, das einem die Schuhe auszieht, so unerwartet und intensiv kommt es daher. West erzählt von Abstürzen und dem Weitermachen, während ringsum die Gitarren jaulen. HipHop ist das schon lange nicht mehr. 


Daft Punk - Giorgio by Moroder
Noch so eine Hypegruppe. "Random Access Memories" war eine der größten Enttäuschungen des Jahres, trotz des omnipräsenten "Get lucky". Der einzige Track des Albums, der die hohen Erwartungen nicht nur erfüllen, sondern sogar übertreffen konnte, ist "Giorgio by Moroder". Der Song beginnt mit einem Monolog der namensgebenden Discolegende, in welchem Giorgio von der Erfindung des 4/4-Beats erzählt. Danach zelebrieren die Franzosen in knapp sieben Minuten die Transformation eines simplen elektronischen Motivs zu einem orgiastischen Streicherfinale. Wenn der Rest des Albums nur ebenso brillant gewesen wäre.


Queens of the stone age - I appear missing
"I appear missing" ist zweifelsohne der Höhepunkt des neuen Queens-Albums "...Like clockwork" Einer der wenigen klassischen Rocksongs der vergangenen zwölf Monate, der nicht abgedroschen, sondern mitreißend klang. Dat Ding brennt.


Tocotronic - Die Revolte ist in mir
Wenn alle Bands einen so nahtlosen Übergang ins Alterswerk hinkriegen würden, wie Tocotronic es mit "Schall und Wahn" und "Wie wir leben wollen" vorgemacht haben, müsste man sich viel seltener aufregen. Dirk von Lowtzow schwadroniert zwar mehr denn je in ganz eigenen Sphären, doch vereinzelt vereinen sich des Sängers wirre Worte und die Musik zu einer unwiderstehlichen Mixtur. "Was ich noch sagen wollte: Ich bin kein Mensch in der Revolte, die Revolte ist in mir." singt Dirk, und nimmt Missverständnisse nur zu gern in Kauf. 


M.I.A. - Bad girls
Obwohl dieses Lied schon 2012 erschienen ist, zählt es zu meinen Songs des Jahres 2013. Weil es einfach nicht totzuhören ist. Weil es den besten Timbaland-Beat hat, den Timbaland nicht gemacht hat. Weil dieses unglaubliche Sample einen nicht mehr loslässt.


The Knife - Full of fire
Kranke Scheiße is happening. So klingt es also, wenn man Kim Gordon durch einen Fleischwolf dreht und die Reste zum Musikmachen nach Schweden schickt. Die Geschwister Dreijer haben wirklich ordentlich einen an der Waffel, und zu allem Überfluss machen sie auch noch Kuuuunst, was ihr in Gänze eher unhörbares Werk "Shaking the habitual" zeigt. "Full of fire" ist dagegen ein wunderschöner Song, der einen an Kreissägen und japanische Filme, die man eigentlich verdrängen wollte, erinnert. Mein Tipp für die "staade Zeit".

Montag, 9. Dezember 2013

Angehört 2013: Blog

Das Jahr, das Jahr, bald ist es vorbei. Und wie es sich gehört, ziehe auch ich Bilanz. Als ich im Februar diesen Blog begonnen habe, hatte ich nicht geplant, so viele Artikel zu schreiben. Doch spätestens nach dem Start der Top100-Serie (die übrigens nicht im Sande verlaufen ist, sondern noch in diesem Jahr beendet werden wird) gab es viel zu viele gute Gründe, Artikel über Musik zu schreiben. Ganze 46 Texte habe  ich so seit dem Launch des Blogs verfasst. Reiht man alle Texte in einem Word-Dokument aneinander, ergibt das 122 Seiten Buchstabensalat. Ein kleines Buch wäre also locker zusammengekommen.

Wie groß die Leserschaft dieses Blogs ist, ist relativ schwierig zu sagen, wobei die populärsten Artikel immerhin auf mehrere hundert Impressions kommen. Dass sich so ein popeliger Blog nicht mit den sattsam bekannten Musikseiten im Web messen kann, ist ohnehin klar - und auch nicht mein Ziel. Für das nächste Jahr habe ich geplant, weiterhin konstant Artikel zu produzieren, und ich hoffe, dass ich euch auch 2014 mit Rezensionen, Listen und anekdotischen Betrachtungen zur Musik unterhalten kann. Ein paar Leser mehr schaden natürlich nie, und Anfang 2014 werde ich auch noch einmal die Werbetrommel anschmeißen, um mehr nichts ahnenden Menschen ihre kostbare Zeit stehlen zu können.

Der größte "Hit" des Jahres war mein Verriss zu den Sportfreunden Stiller - ein Artikel, den ich binnen einer Stunde hasserfüllt zusammengekloppt habe. Ich gehe aber davon aus, dass etliche der Klicks auch durch Zeitgenossen generiert wurden, die nach illegalen Downloadmöglichkeiten gesucht hatten. Es wäre schön, wenn ich sie durch meinem Text von ihrem Vorhaben abgebracht hätte, nur fehlt mir ein wenig der Glaube daran. Zumindest wird uns im kommenden Jahr nicht eine erneute Renaissance des unsäglichen "54, 74, 90, 2000 + x" bevorstehen, da 2014 glücklicherweise um eine Silbe zu lang ist, um gut zu klingen. Wobei sich über die Verwendung des Wörtchens "gut" hier ohnehin trefflich streiten ließe.

Dass die Top100 noch nicht fertig beschrieben sind, hat zwei Gründe: Erstens bin ich mir bei einigen Platten immer noch nicht sicher, ob ich sie wirklich in der Liste haben möchte. Dies gilt v.a. für jene Alben, die mich zwar stark persönlich geprägt haben, aber von mir schon seit Jahren nicht mehr gehört wurden. Verraten kann ich aber z.B., dass Radiohead, Nirvana und die Beatles garantiert noch auftauchen werden. Überraschungen wird es aber dennoch geben. Zweitens studiere ich ja noch immer fröhlich vor mich hin, und auch wenn dieser Zustand nun wirklich schon viel zu lange anhält, ist nun sicher, dass er sehr bald mit einem Abschluss beendet werden wird. Dass da durchaus eine beträchtliche Menge Zeit draufgeht, muss nicht ausführlich diskutiert werden.

Erlaubt mir abschließend noch ein paar Worte zum angekündigten Podcast: Aufgenommen ist die erste Folge schon eine ganze Weile, nur leider gefällt sie mir überhaupt nicht. Die Klangqualität eher berauscht als berauschend, ich möchte euch dieses Elend eigentlich lieber nicht zumuten. Um Weihnachten herum werde ich aber sicher mal Zeit finden, einen besser klingenden Cast zu produzieren und vielleicht werde ich sogar noch einige Mitmenschen auftreiben, die mit mir über Musik sprechen möchten. Soll es ja geben.

Im Rahmen der "Angehört 2013"-Serie werde ich im Lauf des Dezembers meine jeweils zehn liebsten Songs und Alben des Jahres vorstellen, aber auch eine kleine Liste der schrecklichsten Verbrechen aus 2013 kompilieren. Am 31.12. erwartet euch noch ein besonderes Schmankerl, aber dazu später mehr.

Ich bedanke mich bei euch und wünsche euch eine besinnungslose Weihnachtszeit.

Dienstag, 3. Dezember 2013

Lady Gaga - Artpop (2013)

4/10

Ich gebe zu, dass ich etwas spät dran mit meiner Rezension bin. Aber letzten Endes passt das nur zu gut zu einem Album, das ganz weit vorne sein will, aber dann doch unpünktlich zur großen Sause gekommen ist.

Nicht weniger als die Verkunstung des Pop hatte Frau Germanotta angekündigt. Große Worte, die hervorragend zur bisherigen Karriere der Sängerin passen. Als sie 2008 sich mit dem Geniestreich "Pokerface" über Nacht zur neuen Königin der Klingeltoncharts gekrönt hatte, war sie nicht nur das Tagesthema auf dem Pausenhof, sondern auch in einschlägigen Kulturbelaberungsmedien. Die neue, die zeitgemäße Madonna sei sie, schrieb man. Der erste virale Weltstar. Und da manche Dinge besser nicht beim Namen genannt werden, wurde sie schlichterhand zum "Phänomen" erklärt. 

Das Phänomen Lady Gaga sollte über Jahre den Musikmarkt dominieren, es verband Optik mit Musik und die Musik wiederum mit einem sich ständig wandelnden Image. Die Gaga hatte verstanden, was Pop ist. Auch wenn ihr Zweitwerk "Born this way" nur unzureichend erste Verfallserscheinungen am Fleischkleid überdecken konnte, blieb sie die unangefochtene Nummer eins. (auch mangels echter Konkurrenz)

Jetzt also "Artpop", inklusive eines richtig geil grausigen Coverartworks von Jeff Koons. Raus aus der Mehrzweckhalle, rein ins MOMA. Wer nun allerdings eine radikale musikalische Neuerfindung des Gagastyles erwartet, dürfte von den Songs auf Germanottas Drittwerk bitter enttäuscht werden.
Dabei fängt es gar nicht mal so unspannend an: "Aura" verbindet einige altbekannte Stilelemente mit orientalisch klingenden Synthielinien und einem überaus eingängigen Refrain. Der Beat schiebt, die Gaga croont. Sehr zeitgemäß hört sich das an, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und für die Tanzflächen dieser Welt glattgebügelt. 

Der Rest ist Leere. Eine Leere, die auch Dubstepanleihen und Rap-Elemente nicht füllen können. Lady Gaga mag eine gute Sängerin mit einem großen Talent für melodiöse Popsongs sein, wirklich etwas zu sagen hat sie allerdings nicht. Reich und berühmt ist sie, und nach der Pflicht kommt stets die Maniküre. Nun könnte man dem ganzen Gedöns eine Metaebene andichten und Lady Gagas überzuckerte Lieder als Spiegelvorhaltung gegenüber dem Popbusiness verstehen, recht zwingend ist dieser Gedankengang jedoch nicht. Zudem ist das Motiv der Verklärung des eigenen Status weder neu (man denke an Gagas Debüt, "The fame"), noch sonderlich spannend. Nur selten halten die Kompositionen dem Ego der Lady stand ("Swine"), meist verpuffen die an kurze Aufmerksamkeitsspannen angepassten Rummskisten im Nichts.

Dabei könnte sie doch mehr. "Dope" ist z.B. eine wunderbar zynische Ballade, in der Frau Gaga singt als sei der Teufel hinter ihr her. Selbst als ironisches Statement funktioniert das Lied hervorragend, entspricht es doch hinsichtlich Pathos und Melodieführung einer typischen Popschnulze. Leider muss man derlei positive Elemente mit der Lupe suchen. Blödsinn wie "G.U.Y." oder "Sexxx dreams" wird auch nach fünf Flaschen Schampus im Urwald nicht erträglicher.

"Applause" hat sie sich dafür verdient, dass es wie kaum eine andere Künstlerin versteht, dem Feuilleton auf der Nase herumzutanzen. Rein musikalisch stellt "Artpop" eine herbe Enttäuschung dar.

Freitag, 15. November 2013

Das erste Lied

Die frühe Kindheit kennzeichnet sich dadurch, dass man sich im Erwachsenenalter nur an sehr wenige Episoden erinnern kann. Eine verbrannte Hand, die einem physikalischen Experiment mit einer Herdplatte zu verdanken war. Ein Nikolausabend, der mit Angst und Schrecken (und einem kostümierten Onkel) verbunden war. Oder auch so einschneidende Erlebnisse wie der erste Tag im Kindergarten. (Es gab Suppe!)

Neulich habe ich versucht, mich an die ersten musikalischen Erlebnisse meines Lebens zu erinnern. Den Schleier des Nichtmehrwissens zu durchdringen, ist selbstverständlich alles andere als einfach. Ich weiß z.B. noch, dass ich im Grundschulalter permanent am Plattenspieler meiner Eltern gesessen bin*, und irgendwelche merkwürdigen Sampler aus den Achtzigern rauf und runter gedudelt habe. Besonders toll waren hierbei die LPs mit den Maxiversionen, denn dort gab es die guten Lieder in lang. Zudem versuchte ich mich bereits in jungen Jahren als "DJ", was dazu führte, dass ich erfolgreich den Motor des Plattenspielers zur Geistaufgabe brachte.

Mit ungefähr sechs Jahren war ein großer Fan von David Hasselhoff, und auch wenn ich kein Wort von "Looking for freedom" verstand, war mir damals schon unbewusst klar, dass man mit so einem Song Mauern zum Einsturz bringen konnte.

Doch was war das erste Lied, an das ich mich heute noch bewusst erinnern kann, ohne mich zu betrügen? Es gelingt mir nicht mehr, die exakte Reihenfolge meiner ersten prägenden Musikerlebnisse zu rekonstruieren, aber nach reiflicher Überlegung haben sich drei Kandidaten herauskristallisiert.

Der erste Song, den ich mit einer konkreten Lebenssituation verbinden kann, ist "Patrona Bavariae" des Original Naabtal Duos. Ein Lied, wie die CSU: Immens erfolgreich, hinterfotzig und nicht loszuwerden. Ich weiß noch, dass ich als kleiner Junge mit meinem Vater im Auto unterwegs war, und dieses Meisterwerk volkstümlicher Schlagerkunst aus dem Autoradio trällerte. 



Der zweite Kandidat ist der "Lambada", ein Werk das man wahrlich nicht ausführlich beschreiben muss. Es war Sommer, ich war vier oder fünf Jahre alt, und mein Onkel (der Nikolausmann) hatte Geburstag. Wir Kinder fetzten um das Haus, die Erwachsenen frönten dem Genuss des Gerstensaftes und aus den Lautsprechern erklang mindestens einmal pro Stunde diese Todesmelodie, die ich wahrlich niemandem als Ohrwurm wünsche. (Ich gehe davon aus, dass ihr trotzdem jetzt die Hauptmelodie im Kopf habt, für standhafte Seelen hinterlasse ich das Video als Versuchung.)



Schließlich gibt es noch ein Erlebnis, das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit das früheste seiner Art war: Ich muss ebenfalls zwischen vier und fünf Jahren alt gewesen sein, als ich meinen ersten Cassettenrecorder geschenkt bekommen hatte. Das Gerät war quietschgelb, hatte große, schwergängige Tasten und ein eingebautes Mikrophon, welches sehr gut darin war, Rauschen aufzunehmen. 

Die Maschine fraß leider nicht nur Unmengen von Batterien, sondern auch Cassetten - vor allem, wenn den Batterien der Saft ausging. An einem Sonntagmorgen, mein Vater war gerade in der Küche mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt (es gab sicher Schweinebraten), hatte ich wie besessen immer und immer wieder das selbe Lied gehört. Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, von wem es war, sondern kann mich nur noch grob einiger Klangeigenschaften erinnern:

Der Sänger besaß eine tiefe Stimme, das prägendste Instrument waren tiefe Synthiebässe, die in Verbindung mit einem scheppernden Schlagzeugsound - der wohl auch auf das High-End-Abspielgerät zurückzuführen war - ein infernalisches Geräusch erzeugten. Das Tape stammte aus dem umfangreichen Cassettenfundus meines nächstälteren Bruders, und ich vermute, dass es sich bei dem Song um irgendeinen Industrial-Pop-Song aus den Achtzigern handeln musste. 

Wie dem auch sei, ich fand das Stück ganz und gar wundervoll. So wundervoll, dass ich es hörte, die Cassette zurückspulte, es wieder hörte, undsoweiter. Bis jenes vermaledeite Geräusch aus dem Recorder drang. Jeder, der so wie ich in der Steinzeit aufgewachsen ist, weiß, was passiert war. 

Bandsalat.

Auch verzweifelte Reparaturversuche meinerseits konnten den entstandenen Schaden nicht rückgängig machen. Das Tape war im Arsch, und hatte mein erstes Lieblingslied für immer verloren. 

Eine unglaublich spannende Geschichte. Beim nächsten Mal erzähle ich euch von dem Tag, an dem ich zum ersten Male einen Elefanten gesehen habe. Oder auch nicht.

* Süddeutsch, Junge.

Mittwoch, 13. November 2013

Eminem - The Marshall Mathers LP 2 (2013)

5/10

Es gab eine Zeit, in der Eminem der berühmteste Musiker der Welt war. Selbst Menschen, die mit HipHop ansonsten reichlich wenig anzufangen wussten, referierten plötzlich glasigen Blickes über die Genialität der Sprechgesangskunst dieses wasserstoffblondierten Reimemonsters. Im Jahr 2000 war Eminem der heißeste Scheiß. Jede Single ein Hit, jedes Video auf Dauerrotation.

Das Album zum Eminem-Hype hieß "The Marshall Mathers LP", ein neunzehn Tracks umfassendes Feuerwerk, das aus heutiger Perspektive durchaus als maßgeblicher Impulsgeber für die große Rapwelle Anfang des vergangenen Jahrzehnts bezeichnet werden muss. Eminem gelang es nicht nur, die Lücke zu füllen, die 2Pac und Biggie hinterlassen hatten, er gewann den Mainstream für sich. Badboy-Image, Skandale zur rechten Zeit und die extrem einprägsamen Songs taten ihr Übriges.

Die "MMLP" markiert sicherlich den Höhepunkt in Eminems Diskographie. Nie war er relevanter, nie war er besser gewesen. Bald darauf sollte es steil bergab gehen. Spätestens seit dem gruseligen "Comeback-Album" "Relapse" war endgültig der Ofen aus und die Katze erfroren. Auch das 2010er-Werk "Recovery" konnte nur stellenweise davon ablenken, dass sich die Welt ein ganzes Stück weit unter Eminem weggedreht hatte. 

Dass sich Mr. Mathers dessen durchaus bewusst ist, zeigt der Titel seines neuen Albums: "The Marshall Mathers LP 2" hat er es genannt, und wer hier einen Publicity-Stunt wittert, besitzt garantiert nicht die schlechteste aller Nasen. Eminem will und muss sich noch einmal unmissverständlich zu Wort melden, um nicht das Schicksal aller anderen in der Versenkung verschwundenen Pop-Größen zu erleiden - und es bietet sich natürlich an, sich hierbei auf jenes Album zu beziehen, das allen noch am besten im Gedächtnis geblieben ist.

Dass so eine Aktion auch fürchterlich daneben gehen kann, muss nicht ausführlich diskutiert werden. Meat Loaf, Mike Oldfield und Jay-Z sind nur drei von vielen Beispielen für gescheiterte Karrierereanimation durch Leichenfledderung. 

Ein Eminem möchte sich indes nicht nachsagen lassen, nur halbe Sachen zu machen, weswegen bereits im Opener "Bad guy" ein direkter Anschluss zur "MMLP" hergestellt wird: "Stan" ist tot, und dessen Bruder sinnt auf Rache. Der siebenminütige Song ist ein Triumph, besonders der sich famos steigernde Schlusspart muss sich kein bisschen vor vergangenen Großtaten des Rappers verstecken. 

Dass Eminem das Rappen nicht verlernt hat, haben auch seine weniger guten Alben der jüngeren Vergangenheit gezeigt. Das Hauptproblem des Künstlers ist jedoch seit längerer Zeit, dass er nicht mehr wirklich viel Neues zu erzählen hat. Kaum ein anderer ist in der Lage derart virtuos mit Wörtern und Rhythmen zu spielen, und kaum ein anderer ist technisch derart versiert wie Marshall Mathers.

Die pure technische Brillanz von Tracks wie "Rap god" ist daher eindrucksvoll, nur leider verpuffen auch auf der "MMLP2" viele der halsbrecherischen Reimstunts relativ wirkungslos ob der inhaltlichen Wüste, in der sie stattfinden. Spaß macht es definitiv, Mathers bei der Arbeit zu lauschen, richtige Überraschungen bekommt er allerdings nicht mehr auf die Kette.

Fairerweise muss aber angemerkt werden, dass es etliche Songs gibt, die trotz jener eher ermüdenden Aufwärmerei oller Kamellen ("ich bin böse", "meine Kindheit war Mist", "Mama ist die Beste") großen Unterhaltungswert besitzen. So ist beispielsweise das von Rick Rubin produzierte "Rhyme or reason" ebenso catchy wie intelligent gemacht. Beat und Rap ergeben eine swingende Einheit, und selbst ein von Em gesungener Refrain schafft es nicht, einen vom Kopfnicken und Mitsummen abzubringen.

Auch "So far..." (ebenfalls mit Rubin an den Reglern) und der Schlusstrack "Evil twin" nehmen  charmant alte Ideen auf und überführen sie auf gelungene Art und Weise in die Gegenwart. 

Doch in der Mitte des Albums lauern einige Schrecknisse. "Asshole" (mit einer computergenerierten Skylar Grey im Refrain) ist ungefähr so spannend wie das neue Samy Deluxe-Mixtape. Richtig schlimm ist "Berzerk", welches einen eindeutigen Beweis dafür liefert, dass die Achtziger vorbei sind - egal, wie oft man sie noch in Zitatform hochwürgt. 
Ja selbst Rihanna darf wieder mit ihrer Engelsstimme ein Lied verelenden, wobei "The monster" auch ohne die Beteiligung des Fluchauslösers aus der Karibik eine ziemlich fade Angelegenheit wäre.

Mit Spannung erwartet wurde das Feature mit dem neuen HipHop-Wunderkind Kendrick Lamar. Und obgleich dieser Track ("Love game") mit Humor und Selbstironie zu punkten vermag, offenbart er auch, dass Eminem im Jahr 2013 noch immer nicht verwunden zu haben scheint, dass es Frauen auf der Welt gibt.

Über den teils widerlichen Sexismus und die in manchen Songs noch immer offen zur Schau getragene Homophobie möchte ich jetzt nicht übermäßig zeigefingern. Es bleibt lediglich festzustellen, dass in der causa Mathers das Alter nicht direkt mit einem Zugewinn an Weisheit verknüpft zu sein scheint. Nötig oder angemessen ist der ganze Schrott auch im Jahr 2013 nicht.

Das Fazit? Die Raps sind gut, aber verkommen all zu oft zu bloßer Wortakrobatik. Die Beats hingegen sind bestenfalls mittelmäßig - eine Tatsache, die umso mehr auffällt, wenn man sich zu Vergleichszwecken die originale "MMLP" zu Gemüte führt. 

"The Marshall Mathers LP 2" ist alles in allem das beste Eminem-Album seit zehn Jahren. Der kreative Befreiungsschlag ist Slim Shady allerdings wieder nicht gelungen.

Dienstag, 12. November 2013

M.I.A. - Matangi (2013)

 8/10

Während andernorts Lady Gaga die Verkunstung des Pop propagiert und dabei zielstrebig dem Abstellgleis entgegenwackelt, hat Mathangi Arulpragasam (besser bekannt als M.I.A.) Interessanteres im Sinn. Die britische Musikerin mit Wurzeln in Sri Lanka erreicht auf ihrem vierten Longplayer "Matangi" wieder einmal das, was Frau Germanotta wohl auch in drei Alben nicht auf die Reihe gebracht haben wird: Eine funktionierende Verbindung aus innovativen Elementen, nihilistischem Pop und der puren Lust am Sound.

"Matangi" nervt wie Sau - und das ist gut so. Beinahe jeder Track beinhaltet harte Bruchstellen, nur selten hält ein sofort nachvollziehbares Songschema die Stücke zusammen. Im Mittelpunkt des kurzweiligen Exzesses steht die durch alle erdenklichen Filteranlagen gejagte Stimme Arulpragasams. Mal säuselnd, mal rappend zieht M.I.A. alle Register ihres Könnens. Dass dabei nicht immer sonderlich tiefsinnige Botschaften vermittelt werden, ist zweitrangig, wobei zugegebenermaßen kaum jemand cooler "boomshakalaka" sagen kann als M.I.A.

So ganz ohne politische Aussagen geht es aber natürlich auch nicht, was beispielsweise das clevere "aTENTion", welches anspielungsreich zur Flüchtlingsproblematik Stellung bezieht. ("Our borough is long like a senTENTs, it's inTENT bitches, it's insTENT. we live with disTENT to presiTENT, for atTENTion about my TENT.)

Die Musik ist eine ebenso eklektische wie elektrisierende Melange aus indischen Melodien, Grime, Jungle, Step-Varianten eurer Wahl und HipHop. Trotz aller verrückten Störelemente und Dissonanzen entwickelt "Matangi" einen immensen Flow, welcher nicht nur Epileptiker auf die Tanzflächen dieser Welt treiben dürfte. Eine gewisse Vorliebe für Tempowechsel und überraschende Klapsmühlenragas sollte man jedoch mitbringen. 

Ohne Zweifel ist das bereits Anfang 2012 als Single erschienene "Bad girls" der Hit des Albums, der Song erinnert stark an jene Zeit als Timbaland noch nicht ausschließlich Müll produzierte und Aaliyah noch unter den Lebenden weilte. Was für ein fieser Ohrwurm, was für ein fantastisches Sample.

Auch "Bring the noize" und "Y.A.L.A" (eine augenzwinkernde Antwort auf den unsäglichen YOLO-Blödsinn) sind nicht ohne Hitpotential, wobei erstgenannter Song auch ganz hervorragend für der nächste Messevorführung einer Presslufthammerfirma geeignet wäre. Das ist Krach, und Krach macht Spaß.

Langweilig wird das Album indes nie. Dass es 57 Minuten dauert, merkt man erst beim erstaunten Blick auf die Uhr, nachdem Stille eingekehrt ist.

An manchen Stellen ist die Musik allerdings nicht ganz so radikal, wie sie sich gebärdet, was gerade im Hinblick auf frühere M.I.A.-Alben als Schwäche ausgelegt werden kann. Besonders "Exodus" und dessen Zwilling "Sexodus" pluckern ein bisschen zu brav aus den Boxen, um vom Hocker zu reißen. Diese kleineren Schönheitsfehler werden durch die zahlreichen Highlights aber mehr als wettgemacht.

"Matangi" könnte mein ganz persönliches Album des Jahres werden. Weil es anders ist. Und weil es nervt wie Sau.

Abschließend soll das herrlich hässliche Cover nicht unerwähnt bleiben. Das rot-grüne Konterfei der Sängerin mit neongrünem Schriftzug reiht sich nahtlos in die an optischen Grausamkeiten nicht arme Diskographie Arulpragasams ein.

Mittwoch, 30. Oktober 2013

Schnellcheck #1: Wirrer Mist!

Ich "durchleide" derzeit mal wieder eine akute Geschmackserweiterungsstörung. Diese Krankheit äußert sich v.a. dadurch, dass der Patient so viel neue Musik wie nur irgendwie möglich hört. Gerne auch sogenannten "wirren Mist". (Danke an eine Freundin für diesen Begriff.) Zur Linderung der Symptome habe ich mich dazu entschieden, meine Eindrücke mit euch zu teilen.

Entdeckt habe ich die meisten Bands übrigens v.a. via Bandcamp. Diese Rubrik wird ab sofort einmal pro Monat erscheinen. Viel Spaß beim Entdecken!


Random Rab - Release (5/10)
Electro, Downbeat, Synth pop

Sehr entspannende und harmonische Musik. Teilweise sogar richtig orchestral. Wer nach herbsttauglicher Autofahrmusik sucht, könnte hiermit fündig werden. Außerdem finde ich das Cover toll.

Hörtipp: "Absolution"

501 - 2013 Compilation (5/10)
Glitch Hop, Dubstep

Dubstep ist wie Metal. Ein Genre, das sich im eigenen Klischee suhlt. Bisher konnte ich mit dem Gerödel wenig anfangen, woran auch dieser Sampler wenig ändert. Einige Tracks machen aber durchaus Spaß.

Hörtipp: "Vulture"

Ufomammut - Idolum (7/10)
Stoner, Doom, Psychedelic Metal

Es schiebt und knarzt, die Schwarte kracht. Tiefstgestimmte Gitarren verbreiten apokalyptische Partystimmung. Macht kaputt, was noch nicht kaputt ist.

Hörtipp: Das ganze Album!

This Will Destroy You - Live in Reykjavik (6/10)
Postrock, Noise, Ambient

Stereotypischer Postrock mit einer angenehmen Noise-Schlagseite. Besonders der glasklare Klang weiß zu überzeugen. Nicht ganz so kitschig wie God Is An Astronaut (= daher besser). Wunderbar eingesetzte Feedbacks und Obertonspielereien.



Control - Control LP (6/10)
Mathcore, Postcore, Experimental Rock

Trackartige Musik mit echten Instrumenten. Sehr statisch und grooveorientiert, gerne auch in krummen Taktarten. Frickel frickel, zappel, zuck. Sich selbst erhaltende Onomatopoesie.


Lune Palmer - The rooster (5/10)
Indie Rock, Electro Pop

Schweizer Band, die extrem nach Radiohead und Portishead klingt. Und das mit einem männlichen Vokalisten. Nicht gerade eigenständig, aber dennoch recht hübsch. 

Freitag, 25. Oktober 2013

Top 100, 18: David Bowie - Low (1977)

David Bowie ist ein Scharlatan. Er greift Modeerscheinungen auf, kombiniert sie mit unverkennbaren Markenzeichen seines Songwritings und Auftretens, und lässt die Welt im Glauben, er hätte sich wieder einmal neu erfunden.

Das, was Bowie daher so relevant macht, ist sein Gespür für den oftmals die falschen Orte bespukenden Zeitgeist. Sei es der langzottelige Folktroubadour zu Beginn, das wüst geschminkte Alien der frühen Siebziger oder der unterkühlte Dressman der Yuppieära - der Igel Bowie war oft genug vor dem Hasen zur rechten Zeit am richtigen Platz.

Das musikalische Werk des Briten ist ebenso vielseitig wie extremen Qualitätsschwankungen unterlegen. Denn auch wenn er lange Zeit zu den einflussreichsten Popkünstlern überhaupt gehörte, konnte er nicht immer die passende Musik zur jeweils neusten Inkarnation seiner Selbst zu Wege bringen. (Manchmal war auch einfach die Inkarnation Mist, man denke an die grässlichen Alben der späten Achtziger.)

Es steht außer Frage, dass Bowies künstlerisch produktivste und erfolgreichste Zeit die Jahre zwischen 1971 und 1979 waren. Besonders in der zweiten Hälfte der Siebziger befand sich Bowie auf einem musikalischen Höhenflug.

Maßgeblich an dieser kreativen Hochphase beteiligt war der Soundtüftler und Ambientpionier Brian Eno, unter dessen Regie Bowie die sogenannte Berliner Trilogie aufnahm. Zwischen 1977 und 79 lebte Bowie nämlich samt Entourage in der geteilten deutschen Hauptstadt und ließ sich treiben. (u.a. auch mit Iggy Pop und jeder Menge lustiger Substanzen, die einen länger wachhalten können.)

Welch tiefen Eindruck Berlin auf den Künstler gemacht haben muss, zeigt besonders das erste Album der Trilogie: "Low".

Schon die Teilung des Albums in zwei sich stark voneinander unterscheidende Hälften erinnert an die Stadt, in der es aufgenommen wurde. Während der erste Teil des Albums größtenteils aus eher konventionellen (jedoch teils recht schrägen) Songs besteht, setzt sich die B-Seite aus mehreren ineinander übergehenden Instrumentals, welche eindeutig die Handschrift Enos erkennen lassen, zusammen.

Der experimentelle Charakter des Albums zeigt sich bereits im Opener "Speed of life", der einen soliden Funkrhythmus mit kaputten Synthesizern kombiniert. Die danach folgenden Songs sind allesamt kurz und fast schon skizzenhaft, sie beginnen irgendwo in der Mitte und hören ebenso unvermittelt wieder auf.

Das Schlüsselstück der A-Seite ist sicherlich das programmatische "Sound and vision", welches fröhlich daherhüpfend von einer neuen Ära kündet. "Don't you wonder sometimes about sound and vision?", fragt Bowie unbeteiligt, während die Musik mit mindestens einem Bein in die Zukunft hineintanzt. 

Auch wenn die Popsongs sicherlich alles andere als schlecht sind, offenbart sich die wahre Größe des Albums erst in der avantgardistischen zweiten Hälfte. Minimal music und Ambient standen Pate für die wohl gewagtesten Stücke, die Bowie in seiner Karriere aufgenommen haben dürfte.

Besonders über "Warszawa" und das das Album beschließende "Subterraneans" könnte ich Romane schreiben. Nur wenige anderen Kompositionen, die ich kenne, wohnt solch eine tiefe Traurigkeit inne. Totengesänge für im Staub versinkende Industrieruinen. Das Saxophon, das durch die zweite Hälfte von "Subterraneans" geistert, garantiert Gänsehaut. 

"Low" ist kein alltagstaugliches Album. An manchen Tagen entfaltet es jedoch eine unvergleichliche Sogwirkung. 

Mittwoch, 23. Oktober 2013

King of Muzak

Ich bin mit dem Radio aufgewachsen. In der Küche, bei den Hausaufgaben, während dem Spielen - das Radio lief eigentlich immer nebenher. Was mir aus heutiger Perspektive kaum noch nachvollziehbar scheint, war damals vollkommen normal. Vielleicht, weil ich die meiste Zeit ohnehin nicht richtig hingehört habe, vielleicht aber auch, weil früher alles besser war. (außer Tiernahrung)

Bevor ich anfing, mich intensiver mit Musik zu beschäftigen, war sie nicht viel mehr als Alltagsbegleitung und Freizeitberieselung. Und womit berieselt es sich am besten? Natürlich mit Formatradiosendern. (Zudem hätte ich als Zehnjähriger mit dem Radiofeuilleton auf Bayern 2 wohl sowieso wenig anfangen können.)

Aber darum soll es hier und heute nicht gehen. Ich möchte über einen Mann sprechen, der Generationen von Radiohören begleitet hat, und auch heutzutage noch Stammgast in den Playlisten ist. Die Rede ist selbstverständlich vom King of Muzak höchstselbst. Einem sicherlich sehr sympathischen Herren, der völlig zu Unrecht von allen Seiten Hiebe einstecken musste, obwohl er doch die perfekte Bügelmusik komponiert hatte.

Ihr ahnt sicher bereits, wer gemeint ist: Niemand anderer als Philip David Charles Collins.


Es gilt, zunächst eine Sache klarzustellen: Im Gegensatz zu manch anderen musikalischen Kapitalverbrechern ist Phil Collins' Musik ziemlich okay. Bieder vielleicht, nervig wohl auch, aber bei weitem nicht so zornauslösend wie beispielsweise die ganze Armada deutschprachigen Befindlichkeitsgedudels a la Ich & Ich, Rosenstolz oder Silbermond. 

Phil Collins tut niemandem weh. Und genau darin steckt die Perfidie.

Im Nullsummenspiel der glattgebügelten Konsensmucke war Collins lange Zeit so etwas wie der Hüter des heiligen Grals. Seine hier nicht weiter zu diskutierende Vergangenheit als Drummer von Genesis hinter sich lassend, wandte er sich Anfang der Achtziger mehr und mehr der Popmusik zu, bis ihm schließlich "In the air tonight" zum Durchbruch als Solokünstler verhelfen sollte.

"In the air tonight" ist ein auf mehreren Ebenen sehr gelungenes Stück. Die zurückhaltend wabernden Synthies erzeugen im Wechselspiel mit Text und Gesang eine gewisse Spannung, die sich schlussendlich in einem äußerst markanten Schlagzeugeinstieg entlädt. Collins' Stimme umweht ein kurzer, leicht klirrender Halleffekt, wodurch sie in der Leere zu schweben scheint. Der Song ist ein Paradebeispiel für Collins' zweifellos vorhandenes musikalisches Talent; er ist einprägsam, perfekt produziert und in Klangbild und Melodieführung einzigartig.

Auf dem Phil herumzuhacken war lange Zeit so etwas wie ein Volkssport unter Musikbeschreibern und selbsternannten Geschmacksträgern. Gewiss gibt es zahlreiche gute Grunde, weswegen Phil Collins' Oeuvre im Vorzimmer zum Fegefeuer anzusiedeln ist, aber ganz so einfach darf man es sich nicht machen.

Collins hatte nämlich das verstanden, was ich im Folgenden "die Formel" nennen werde.

Seitdem die Musikindustrie existiert, beißen sich Komponisten, Manager und Zahlenverdreher an der Formel die Zähne aus. Das fiese an der Formel ist, dass sie permanenten Permutationen unterliegt. Was sich gestern noch millionenfach verkauft hatte, verstaubt heute unangeklickt auf iTunes. Allein die Zahl der bis dato unter den Tisch gefallenen One-hit-wonder spricht Bände. Nicht das Was, sondern das Wie entscheidet.

Bei vielen sogenannten Superstars kann man ziemlich schnell nachvollziehen, weswegen sie einfach nicht kaputtzukriegen sind. Manche erfinden sich fortwährend neu (bzw. werden von ihrem Management neu erfunden), andere verzichten im Laufe ihrer Karriere sukzessive auf Kleidungsstücke, um vom Mangel an künstlerischer Innovation abzulenken. Wieder andere heißen Lemmy Kilmister.

Phil Collins hat seine Klamotten anbehalten. Und großartig innovativ oder trinkfreudig war der Mann mit dem schütteren Haar nie gewesen. Er konnte ja nicht einmal tanzen. 

Das Geheimnis seiner Popularität ist gerade in dieser Abwesenheit von distinktiven Merkmalen zu suchen. Oft spricht man ja von "Projektionsflächen", wenn man "langweilig" meint. Collins ist ein Langweiler, und zwar ein meisterhafter.

Selbst wenn ein Collins-Song mal richtig flott daherkommt, klingt er nicht wirklich mitreißend. Man denke an "Jesus he knows me", "Sussudio" oder "Can't hurry love". Der Stock sitzt zu tief und fest, als dass man ihn zum Tanzen aus dem Arsch nehmen könnte.

Womit wir beim Kern der Sache angelangt wären: Phil Collins ist genauso wie seine Hörer, er ist genauso wie die meisten Menschen - auch wenn diese nicht müde werden, abweichender Meinung zu sein. Wenn Collins von Liebe und anderen Gefühlsvorstellungen singt, geht er stets den Weg des geringsten Widerstandes. Während jedoch z.B. im Schlager derlei Botschaften auf plumpe Weise mit dorfdiscotauglichen Konnotationen unterfüttert werden, wahrt Collins immer ein gewisses Maß an Würde und Distanz - sowohl zu seinem Publikum als auch zu seiner eigenen Person. 

Der Mensch Phil Collins tritt hinter die Songs zurück, was ihm ganz ungeachtet der Frage nach der Qualität seiner Stücke als Verdienst angerechnet werden muss. Ob er nun Tarzan besingt, oder Toleranz und Mitgefühl predigt, ist egal, ja selbst, wenn er alles ernst meinen sollte, macht das keinen großen Unterschied.

Nun sind dies keine taufrischen Erkenntnisse. Der Hahn, der einst nach Phil Collins gekräht hatte, hat längst den Heuhaufen gewechselt. "Lebbe geht weiter" würde ein längst vergessener Bundesligatrainer sagen. 

Für mich ist Philip Collins eine Kindheitserinnerung. Das war der Typ, der immer zwischen den Boggnsacks und den Feuchtgrubers auf Antenne Bayern lief. Der Mann, dessen Alben nur in Plattensammlungen auftauchen, wenn diese auch CDs von Tina Turner, Bon Jovi und Foreigner enthalten. Ein Musiker, der als Geschmacksgrenze fungiert.

Montag, 21. Oktober 2013

Top 100, 19: The Smashing Pumpkins - Adore (1998)


Achtung, Provokation! Ich finde "Adore" besser als "Siamese Dream" und "Mellon Collie". Auch wenn ich mit meiner Meinung wahrscheinlich einigen Verfechtern der "wahren" Pumpkins auf den Schlips treten dürfte, stehe ich zu meiner Liebe zu dem sicherlich kontroversesten aller Smashing Pumpkins-Alben. 

Viel wurde damals gezetert, als "Adore" herauskam. Über blöde Electrobeats, über fehlende Rockbretter, über eine Band, die offensichtlich ihre besten Tage hinter sich gelassen hatte. Nach dem Rauswurf des Drummers Jimmy Chamberlin hatte Billy, der nun glatzköpfige Vampirkönig, das Ruder radikal herumgerissen und mehr oder minder eigenmächtig den neuen Kurs seiner Band bestimmt - die verbliebenen Bandmitglieder James Iha und D'Arcy Wretzky hatten sicherlich nicht besonders viel Mitspracherecht, als es um die künstlerische Neuausrichtung nach der Schrumpfung zum Trio ging. 

Da wir hier nicht bei der britischen Musikpresse sind, werden derlei Nebensächlichkeiten im weiteren Verlauf allerdings keine Rolle spielen.

"Adore" ist gewiss das poppigste Pumpkins-Album, vorbei waren die Zeiten von wüsten Equipmentvernichtungsübungen wie "x.y.u". Und obwohl viele Songs mit elektronischen Elementen angereichert wurden, bleibt ihr akustischer Kern stets deutlich hörbar erhalten. Wer sich also von den teils recht offensiv eingesetzten Synthies nicht sofort abschrecken lässt, wird reichhaltig belohnt.

Zwischen opulent ausstaffiertem Widescreen-Pop finden sich immer wieder vom Klavier dominierte Songs, schlicht und schön. So ist beispielsweise "Behold! The nightmare" ein faszinierendes Zwitterwesen aus beatlesken Harmonien und phasergetränkter Klangmalerei.

Und dann sind da diese Momente, die aus gewöhnlichen Songs Preziosen machen: Die aufsteigende Gitarrenfigur in der Mitte von "Ava Adore", die bombastischen Gitarrenwände im Refrain von "Daphne descends", das Solo, das "For Martha" in andere Sphären katapultiert. 

Das Album endet mit "Blank page", einer Klavierballade, die perfekt die gesamte Stimmung des Longplayers einfängt. Nicht mehr das pubertäre Dahinleiden steht im Vordergrund, sondern eine distanzierte Melancholie, die umso eindringlicher wirkt. 

Nach "Adore" folgte der langsame, aber unaufhaltsame Abstieg Corgans, sowohl in künstlerischer als auch in kommerzieller Hinsicht. Egal ob solo oder mit Bandunterstützung: Billy bekam nichts mehr auf die Reihe, und sollte sich einige Male sogar bis zu den Hüften in musikalische Fettbehälter begeben. (Eines Tages werde ich noch über "Zwan" herfallen müssen, aber darüber sprechen wir ein andermal.)

Top 100, 20: Johnny Cash - At Folsom Prison (1968)


Schon lange Zeit bevor sich Johnny Cash mit den von Rick Rubin in die Wege geleiteten "American Recordings" ein endgültiges Denkmal setzte, galt der Mann als Volksheld in God's own country. Streitbar ob seiner diversen kaum im Zaum gehaltenen Obsessionen, und dennoch so aufrecht und authentisch, dass ihm schon in jüngeren Jahren allerhand Legenden angedichtet wurden. Cash musste sich nicht durch aufwändiges Gehabe mit seinem Publikum gemein machen, alles was er benötigte, waren seine Stimme, seine Songs und ein paar simple, ritualisierte Gesten und Ansagen. 

In Zeiten, in denen die Rockmusik explodierte und beinahe wöchentlich revolutionäre Platten veröffentlicht wurden, war Country allerdings nicht gerade der heißeste Scheiß. Dennoch hatte Cash schon damals eine Sonderrolle inne, sowohl im Country-Genre als auch als "Überlebender" der Fifties. Während andernorts z.B. Elvis Presley sich als Zirkusclown neu erfand, blieb Johnny Cash sich und seiner Musik treu. Akustikgitarre, Bass, Schlagzeug, Mundharmonika - kein Schnickschnack, keine überflüssigen Spielereien. 

Das, was Cashs Herangehensweise an Country-Musik so einzigartig macht, ist seine Bereitschaft zur totalen Reduktion. Einer Dampflok gleich rollt der Wechselbass, belgeitet vom monotonen Rattern der "rhythm section". Gerade auf dem Folsom Prison-Livealbum erlebt man diesen Purismus in beinahe jedem Song.

Doch der Reihe nach: Der Gefängnisauftritt sollte Cashs ins Stocken geratene Karriere neu ankurbeln - nicht zuletzt aufgrund seiner Affinität zu diversen Arzneimitteln hatte sich John R. Cash in der Öffentlichkeit rar gemacht und auch seine in konstantem Abstand veröffentlichten Alben wollten sich nicht mehr so recht verkaufen. Der Gig im Knast war also auch als PR-Maßnahme gedacht.

Trotzdem hätte das Unterfangen furchtbar schiefgehen können: Vor Häftlingen zu spielen war mit einigen Risiken verbunden. So hätten diese beispielsweise den reichen Countrystar schlicht ablehnen und auspfeifen können, so hätte andererseits auch die Gefängnisleitung das Konzert jederzeit unterbrechen können. Doch nichts von alledem geschah, worüber man als Hörer heilfroh sein muss.

Bereits der Jubel, der dem Barden nach den zum Markenzeichen gewordenen Einleitungsworten "Hello, I'm Johnny Cash" entgegenschlägt, ist frenetisch. Das Publikum hat auf Cash gewartet, und sie feiern jeden Takt des eröffnenden "Folsom Prison Blues". Die "Tennessee Three" spielen wie eine gut geölte Maschine, während Cashs Stimme sonor und volltönend über den Songs thront.

Die Songauswahl ist perfekt auf den Auftrittsort zugeschnitten: Lieder über das Gefängnis, Lieder über Mord und Tod, Lieder über Einsamkeit, Sehnsucht und Verzweiflung. Cash spielt lässig-provokant mit seinem Publikum und der sicherlich besorgten Gefängnisleitung, indem er z.B. süffisant über das nicht genießbare Wasser, das im Gefängnis ausgeschenkt wird, herzieht. Sein Publikum findet das selbstverständlich großartig.

Cash steigert sich von Song zu Song, spätestens bei "25 minutes to go" hat er den Laden komplett im Griff. Besser hat seitdem niemand von seiner eigenen Hinrichtung gesungen. 

In der zweiten Konzerthälfte erklingen auch einige Balladen, die die Setlist um einige melancholisch-düstere Momente ergänzen. Und selbst Cashs damals noch Nicht-Ehefrau June Carter kommt für zwei Songs auf die Bühne, wobei besonders die entfesselte Version von "Jackson" noch heute ein Grinsen aufs Gesicht zu zaubern vermag. 

"At Folsom Prison" ist das definitive Johnny Cash-Album. Es zeigt einen ebenso vielseitigen wie souveränen Geschichtenerzähler, der mühelos eine ganze Halle zum Brodeln bringt.

Keep the train rollin'.

PS: Es wurden übrigens zwei Auftritte für das Album aufgenommen, wobei nur "I got stripes" und "Give my love to Rose" dem zweiten Auftritt entstammen.

Freitag, 18. Oktober 2013

Der Anhörer wird hörbar!

Nun also die mysteriöse Ankündigung, die ich neulich angekündigt habe:


Am 1.11. wird die erste Folge des Anhörer-Podcasts erscheinen. Was euch erwarten wird? Ungefähr eine Stunde Gequatsche über Musik, Songwriting und andere lebenserhaltende Maßnahmen. 

Derzeit ist geplant, einmal monatlich eine neue Episode zu produzieren. 

Pearl Jam - Lightning bolt (2013)

5/10
 
Ach, die gibts also auch noch? Ruhig war es geworden um die fünf mittlerweile sichtlich gealterten Herren aus dem Westen der USA. Und man muss ehrlich sein: "Backspacer" und auch "Pearl Jam" waren keine Alben, die Musikgeschichte schrieben. Solide, melodische Rockmusik mit sporadischen Glanzlichtern und einigen schamauslösenden Fehltritten.

Pearl Jam waren schon immer eine recht konventionell agierende Band. Einzig während der kauzigen Phase Mitte bis Ende der Neunziger wagte das Quintett ein paar Experimente, ohne dabei jedoch die sicheren Fahrwasser riffbasierter Vierviertelstampfer zu verlassen. Das Alleinstellungsmerkmal waren die Refrains, die großen Melodien, die Eddie Vedder jenerzeit in hoher Stückzahl produzieren konnte.

Nun also "Lightning bolt", Album Nummer zehn. Große Sprünge erwartet niemand mehr, denn Pearl Jam befinden sich auf dem Springsteen-Highway. Alle paar Jahre ein Album, danach eine Tour, auf der selbstvergessen der Nostalgie gefrönt wird. Alle singen mit und Vedder trinkt Unmengen Rotwein dabei. 

"Lightning bolt" ist daher genauso wie seine Vorgänger. Souverän, stellenweise elegant arrangiert, aber eben auch ein wenig langweilig. Man hat das alles schon mal so oder so ähnlich gehört. Die singenden Gitarren in "Sirens", den lässig groovenden Kopfnickerrock von "Infailible", die gleichmäßig auf dem Album verteilten Uptempo-Songs, die hin und wieder schräge Breaks beinhalten.

Das Lied, das das Album vor der Belanglosigkeit rettet, ist wohl "Pendulum". Beginnend mit einem schönen Delay-Klavier entfaltet sich ein sehr atmosphärischer und nachtwanderungstauglicher Song. (Wüstenschellenkranz inklusive.) 

Richtige Ecken und Kanten sucht man jedoch leider vergebens. Die Produktion ist viel zu sauber, viel zu poliert geraten, um die sich breitmachende Lethargie zu vertreiben. Ein Gitarrensolo hier, ein "Yeah yeah yeah" da - sonderlich spannend oder gar mitreißend ist das leider nicht mehr.

Gegen Ende gibts dann sogar noch ein wenig Schunkelmaterial ("Sleeping by myself") und schließlich eine weitere feuerzeugtaugliche Ballade ("Future days"), die nicht davor zurückschreckt, den Himmel mit Geigen zu verunstalten.

Das Fazit zum Album kann dem Opener entnommen werden: "It's okay." Mehr aber auch wirklich nicht.

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Top 100, 21: Tool - Lateralus

21 Tool - Lateralus (2001)
Wenn Musik mit Adjektiven wie "progressiv" versehen wird, sollte man vorsichtig werden. Nicht selten bedeutet Progressivität lediglich, dass allzu gewöhnliche Songstrukturen aufgebläht und mit mehr oder minder arbiträren Elementen (Tonartwechsel! 7/13-Takt! Amorphes Gemüse!) zu einem schwer genießbaren Brei vermengt werden. Nicht kompensierte Zurückweisung im Kindesalter mag eine Ursache für die Existenz jener Berufsonanisten sein, vielleicht ist es aber auch einfach nur die Taubheit jener Menschen, die Musik als Sport verstehen.

Es gibt jedoch Ausnahmen. Künstler, denen es gelingt, tatsächlich neue Ansätze zu vertonen. Bands, die sich einen Dreck um sechsminütige Gitarrensoli scheren und stattdessen die vergehende Zeit lieber mit Substanz füllen. Bands wie Tool. Vier Männer aus dem Westen der USA, die seit Mitte der Neunziger einem ganzen Genre ihren Stempel aufgedrückt haben.

Waren die früheren Werke von Tool noch eher straighte Angelegenheiten, zeigte sich schon auf dem 1996er-Meisterwerk "Aenima" (über das noch zu reden sein wird), dass "Metal" ein viel zu kurz greifender Begriff ist, um die Musik adäquat zu beschreiben. Die Band überschritt Grenzen.

Die Erwartungen an "Lateralus", das 2001 veröffentlicht wurde, waren daher extrem hoch. Und sie wurden erfüllt, wenngleich anfangs das Erstaunen überwog. Zu bombastisch, zu vertrackt waren die Songs - die ungezügelte Aggressivität von "Aenima" flammte nur vereinzelt auf. Beinahe jedes Lied auf "Lateralus" ist ein für sich stehendes Epos mit einer ganz eigenen Atmosphäre.

Das das Album eröffnende "The grudge" ist daher alles mögliche, nur keine halbe Sache. Acht Minuten und sechsundreißig Sekunden dauert der Song, und in dieser Zeitspanne errichtet die Band ein bombastisches Soundgebirge, nur um es in den letzten Sekunden des Tracks mittels boxensprengendem Klanggewitter zum Einsturz zu bringen.

Dabei sind die Grundzutaten eines Tool-Songs relativ profan: Simple Gitarrenriffs, synkopierte Drumgrooves und ein Bass, der sich nicht zu schade ist, sich als Melodieinstrument zu verdingen. Erst die Summe der einzelnen Teile offenbart die wahre Größe der Musik: Die Art und Weise wie sich einzelne Motive überlagern mag beim ersten Hören verwirrend wirken, je öfter man sich jedoch dem Album aussetzt, desto mehr greifen die Zahnräder ineinander.

Ein Paradebeispiel hierfür ist das Lied "The patient", welches relativ gemächlich beginnt und erst gegen Ende aus der Haut fährt. Die komplexe Rhythmik des Songs ringt mit der nicht minder ausufernden Gesangsmelodie Maynard James Keenans, der auf "Lateralus" wohl auf der Höhe seines Könnens angelangt war. Egal ob leichtes, leises Säuseln oder infernalisches Geschrei - Keenan kann alles, und wirkt nicht angestrengt dabei.

Mit "Schism" und "Parabola" befinden sich auch zwei zugänglichere Nummern auf "Lateralus", gerade letzteres ist dank seines eingängigen Riffs und des ausnahmsweise sich an standardisierte Schemata haltenden Arrangements fast schon Pop.

Mein ganz persönlicher Favorit des Albums ist jedoch der Titelsong. Über neun Minuten dauert "Lateralis", und jede einzelne verdammte Sekunde ist fantastisch. Besonders der zweite Teil des Stücks ist schlicht atemberaubend. Ausgehend von vier primitiven Basstönen werden wellenförmig neue Elemente zur Musik addiert, bis schließlich alle Dämme brechen. Die Tatsache, dass der verschachtelte Groove des Schlussparts einer Fibonacci-Folge ähnelt, soll indes nicht unerwähnt bleiben. Ein wenig spinnert sind sie dann doch, diese Werkzeugmänner.

Womit wir bei Danny Carey wären. Was der Mann auf "Lateralus" veranstaltet, treibt jedem trommelaffinen Menschen die Freudentränen in die Augen. Verzahnte polyrhythmische Figuren? Check. Mühelos aus dem Ärmel geschüttelte Taktwechsel? Check. Höllisch präzise Hochgeschwindigkeitsfills? Check. Und trotz aller Technik und Virtuosität bleibt Careys Spiel stets musikalisch, das gefühllose Gepose anderer Schlagzeuger im Progressive Metal-Genre sucht man vergebens. Carey hat acht Arme, vier Beine und zwei Gehirne, und er weiß diesen biologischen Vorteil äußerst beeindruckend zu nutzen.

Leider fällt das letzte Drittel des Albums ein wenig ab, vor allem "Triad" ist ein paar Minuten zu lang geraten - was jedoch nichts daran ändert, dass "Lateralus" ein Meilenstein der Rockmusik ist.