Mittwoch, 20. Februar 2013

Harmful - Sick and tired of being sick and tired (2013)


Es gibt diese Bands, die keine Sau kennt, obwohl sie eigentlich nur Hits schreiben. Bands, deren Songs sich ins Hirn fräsen, sodass man sie nie mehr loswird. Tinnituserzeuger, die man sich sein ganzes Leben lang herbeigesehnt hatte, aber bis vor kurzem nicht kannte.

Vielleicht ist die Rockmusik auch tot. Abgeschafft von vor sich hin gestelnden Ironieironisierern. Alles scheiße, hier im Besonderen. Zu viel Fahrstuhlmusik, zu viel tanzbare Zappelmucke für Smartphonebesitzer. Wir brauchen Musik für alte Säcke. Jene Säcke, die einen Lärm zu schätzen wissen. Keinen diskursbasierten Schmumpf, nein, einen Krach. Einen Krawall. Musik für stoisch vor sich hin meißelnde Steinmetze. Musik für Installateure, deren geistige Gesundheit sich nicht am Promillespiegel ablesen lässt.

Noiserock nennt das der Conaisseur. Geile Scheiße ist das. Manisch dengelnd, schwül, schwitzig. Es gehört sicherlich einiges an gesunder Ignoranz dazu, solche Musik unbeeindruckt von jedem herbeigeredeten Zeitgeist auf die Hörer loszulassen. Man braucht schon Eier. Eier und gute Boxen. Es muss drücken. Und ein klein wenig wehtun.

Leiser machen ist nicht. Hier wird schlechte Laune gehabt. Harmful haben ein neues Album aufgenommen, ihr neuntes. Eine dieser Bands, die keine Sau kennt, obwohl sie nur Hits schreiben.
Brennen muss die Welt, scheppern muss die Snare.

 "Sick and tired of being sick and tired" ist Anfang 2013 bei Pias Germany erschienen.

Donnerstag, 14. Februar 2013

John Frusciante - PBX Funicular Intaglio Zone (2012)

01. Es summt und flüstert in meinen Ohren, während am Horizont eine pinke Sonne ihrem Untergang entgegenstrebt. Es ist wieder einmal Abend geworden, nur weiß ich nicht, ob ich wirklich schon müde genug bin, um zu Bett zu gehen. Dissonanzen beginnen an meinem Verstand zu zweifeln, ich fühle mich schummrig. Endlich kommt mein Zug, ich steige ein und lasse mich von ihm in gleichmäßigem Rhythmus der pinken Sonne zuführen.

02. Wenn ich meine Kinder in Säure getaucht hätte, würden sie noch heute wie in meinen Träumen schreien. In gefährlicher Schieflage würde ich aufwachen und mich in einem längst verdrängt geglaubten Film wähnen. Die Melodien, die in meiner Erinnerung erklängen, würden nicht mal ansatzweise zu den Wünschen passen, die ich dereinst zu besitzen glaubte. Ins Feuer getrieben und aus Asche neu zusammengesetzt, so fühle ich mich.

03. Meine Erwartungen an diese Reise sind nicht enttäuscht worden. Der Zug schlingert zwar gefährlich, wenn er sich durch zu enge Kurven wuchtet, und auch die Geräusche, die er absondert, wecken böse Ahnungen an schlechte Nachrichten in mir. Aber dennoch fühle ich mich wohl, gerade weil ich Sequenzen in dem Strudel aus Rauschen und Geräuschen wiedererkenne. Nach Hause zu fahren war noch nie so plastisch konsumierbar wie dieses Relikt aus einem kommenden nuklearen Winter. Ich rufe den Bordservice und bestelle mir ein paar bunte Bonbons, die mein Befinden den Gegebenheiten anpassen sollten.

04.Endlich Ordnung. Die Süße der sonnenfarbenen Dragees hat mich erfolgreich eingelullt. Mir schwant Schwarzes als ich meine Augen schließe und das Dumpfe der sanften Schläge, die von Bodenunebenheiten hervorgerufen wurden, genieße. Wenn ich meine Kinder in Schläue getauft hätte, wären sie heute nicht gestorben gewesen. Ihre Mutter erwartet mich am Ende dieser Fahrt, sie hat mir versprochen, mich abzuholen. Ich beginne wegzudämmern. Der Zug verlangsamt seine Fahrt und ich höre einen Bahnangestellten rhythmische Mantras murmeln. Vielleicht besteht noch Hoffnung, denke ich.

05. Wie schön sie damals war, als ich sie zum ersten Mal erblickte. Ich hatte noch nicht viele Menschen gekannt, aber sie hatte mich nachhaltig davon überzeugt, dass es von Vorteil sein könnte, Menschen kennenzulernen. Sie hatte mich damals aus einer Lethargie gerissen, die mich beinahe aufgefressen hätte. Indem sie mir Dinge zeigte, die ich bis dahin nur aus Büchern gekannt hatte, hatte sie meine Finger ihrer Macht erinnert.

06. Leider waren die Häschen tot. Grüne, rote, blaue, bunte Häschen, groß und klein und köstlich gar. Ich wünschte mir, ich hätte Häschen, braun und grau, wie tröstlich war's, als ich im Schreiten stolpernd um mich schlug, und sie liebevoll zu Grabe trug. Fehler hätte ich gemacht, Flussläufe hätte ich verändern können. Was ich nicht alles hätte wollen können, wenn ich denn nicht so ein Scheusal gewesen wäre. Ja, was hätte ich wissen müssen, was.

07. Ich wache auf und reibe mir die Augen. Die Sonne war untergangen und Dunkelheit war über das Land hereingekrochen. Nur noch in vagen Ahnungen kann man sich der sanften Röte der Dämmerung erinnern, ich beschließe aufzustehen und ein wenig im Zug auf- und abzugehen. Fast alle anderen Fahrgäste scheinen zu schlafen, diejenigen die wach sind, blicken traurig und apathisch aus den wolkenverhangenen Fenstern. Sie wissen also auch nicht mehr, warum sie aussteigen wollten. Ich erreiche schließlich das Führerhaus des Triebwagens und sehe, dass der Lokführer ein Loch im Kopf hat. Überall ist Blut.

08. Wir haben soeben ein Haltesignal überfahren. Ich setze mich neben den Toten und harre der Dinge. Ein Warnsignal ertönt. Der Zug überwindet eine Hügelkuppe und ich sehe den Grund für das Geräusch. Uns kommt ein Güterzug entgegen. Ob man den Zug noch anhalten kann? Ich beginne, mit traumwandlerischer Sicherheit Hebel zu betätigen. Wir werden langsamer.

09. Tatsächlich konnte das Schlimmste verhindert werden. Lediglich der tote Lokführer musste nach erfolgreichem Nothalt beseitigt werden. Man legte ihn behutsam neben das Gleis und dekorierte seine Leiche mit nicht abgestempelten Fahrkarten. Froh, noch am Leben zu sein, rufe ich eine unbekannte Nummer an und höre so lange dem Freizeichen zu, bis ich einschlafe. Schon bald wird die Sonne aufgehen, gleißend und hell. Das Land überfluten. Meine Angst tilgen.

"PBX Funicular Intaglio Zone" ist 2012 bei Record Collection erschienen.