Freitag, 29. August 2014

100 Songs (60 - 51)

Nach einer derart langen Phase der Inaktivität stellt dieser Artikel quasi einen Neustart des Blogs dar. Immerhin habe ich jetzt eine fertiggestellte Abschlussarbeit vorzuweisen und einige erholsame Urlaubswochen hinter mir. Dass der Anhörer sich nicht ins Nirwana verabschiedet, verspreche ich hiermit. Dass nun auch wieder regelmäßig neue Texte erscheinen werden ebenso. 


60 Soundgarden - Jesus christ pose 

Wenn es einen Song gibt, der Psychosen auslösen kann, dann "Jesus christ pose", vor allem in Verbindung mit dem epilepsiefördernden Video. In knapp sechs Minuten brennen Soundgarden ein Feuerwerk aus kreischenden Gitarren und unbarmherzig voranpreschenden Riffs ab, während Chris Cornell zeigt, weshalb an ihm ein begnadeter Hard-Rock-Sänger verloren gegangen ist. Ist das jetzt dieser sagenumwobene Grunge? Quatsch. Das ist irrer Eierkneif-Metal für Patienten der Geschlossenen. Während Cobain einige Jahre später im Video zu "Heart-shaped box" einen ausgemergelten Bartträger ans Kreuz nageln ließ, muss bei den Klanggärtnern eine schöne Frau die titelgebende Körperhaltung einnehmen. Video und Song spielen mit ästhetischen Konventionen des Genres - und brechen sie konsequent. Der Machismo der ausklingenden Achtziger wird im wahrsten Sinne des Bildes in die Wüste geschickt. Zeitgenössischerweise natürlich in Falschfarben.


59 Bright Eyes - I believe in symmetry

"Some plans were made and rice was thrown / A house was built, a baby born / How time can move both fast and slow / Amazes me". Conor Oberst braucht gerade einmal dreieinhalb Zeilen, um jenes Gefühl der staunenden Ohnmacht, die mit dem sogenannten "Erwachsenwerden" und Sich-Binden ins Leben vieler Menschen dringt, einzufangen. Doch Oberst verweigert sich in den folgenden Strophen jeder Unmissverständlichkeit. Er erzählt vom Umherirren und dem Wunsch nach Beständigkeit. Auch wenn das erstens unmöglich und zweitens falsch ist. Was bleibt, ist das Sehnen. Das Suchen. Nach exakt drei Minuten und vierzig Sekunden öffnen sich schließlich alle Schleusen. So schön, so kurz, so wunderschön, so verdammt kurz. Wie das Leben, so der Song.


58 Dover - The weak hour of the rooster

Gibt es so etwas wie euphorische Melancholie? Der Refrain von "The weak hour of the rooster", einem Song der spanischen Pop-Punker Dover, vereint jene eigentlich nicht zueinanderpassenden Gefühle mit seelenerschütternder Leichtigkeit. Die zarte Stimme von Cristina Llanos muss ziemlich kämpfen, um sich im Lärm der bratzenden Gitarren und gewirbelten Trommeln Gehör zu verschaffen. Mit Bravour meistert sie diese Aufgabe und singt eine Melodie, die düstere Mienen aufhellt und vielleicht sogar ein bisschen Leben rettet. "The weak hour..." ist ein Lied, das sich gut in jedem Erste-Hilfe-Koffer machen würde. 


57 Pearl Jam - Thin air
Irgendwann waren Pearl Jam nicht mehr cool. Für die meisten Hörer war dieser Punkt bereits mit dem verschrobenen "Vitalogy" erreicht. Für mich sollte es bis "Riot act" dauern. Dass das in Gänze eher schwer verdauliche 2000er-Album "Binaural" noch Liebe hervorrief, lag primär an "Thin air". Einem von Gitarrist Stone Gossard komponierten Song, der entspanntes Lagerfeuer-Geschrammel mit einer der eindringlichsten Gesangsleistungen Eddie Vedders kombiniert. Simpel kann man das finden, vielleicht sogar ein bisschen banal. Aber die augenscheinliche Banalität, die in Wirklichkeit lebenserfahrene Tiefenentspannung ist, ist mir um einiges lieber als die emotional erhitzte Teenagermucke der "Ten"-Ära. "Alive" und "Jeremy" mögen langsam verblassen, "Thin air" wird mit dem Alter immer besser.


56 Ideal - Erschießen
Bumm-Schepper-Schepper. Auftritt des Vibraphons. Schepper-Schepper-Klimper. "Komm wir lassen uns erschießen, zwei Kugeln mitten ins Gehirn." Ist das wirklich Annette Humpe? Jene Dame, die später die Prinzen und Ich & Ich verbrechen sollte? Aber sicher doch. Ideal waren nicht immer gut, vor allem die politisch allzu eindeutige Spätphase der Band macht ziemlich betroffen. "Erschießen" ist jedoch noch uneingeschränkt großartig. Bumm-Schepper-Schepper macht die Band, und Humpe keift ihren Text wie eine angeschossene Katze. Besser kann man kaum über den allesverzehrenden Stumpfsinn des bürgerlichen Alltags herziehen. Peng-Schepper-Schepper.


55 Placebo - pure morning

Mal ehrlich: Brian Molko ist ein ziemlicher Langweiler. Seit über fünfzehn Jahren nölt er seine aus maximal fünf Tönen bestehenden Nicht-Melodien. Entwicklung? Fehlanzeige. Dass seine Band mittlerweile ziemlich unwichtig ist, hat sicherlich auch mit der stilistischen Unbeweglichkeit ihres Frontmannes zu tun. Zudem haben Placebo die Ausfahrt zum Stadionrock verpasst, sodass sie nun ein stilles Dasein als mittelmäßig vor sich hin musizierende Band für Gestrige fristen. Auf "Without you I'm nothing" war die Welt noch jünger, und Molko tatsächlich noch androgyn. Dem das Album eröffnende "Pure morning" hört man zwar inzwischen sein Alter an, für schwelgerisch-verpeilte Morgenspaziergänge nach durchzechten Nächten reichts aber allemal. "A friend in need's a friend indeed / A friend with weed is better". In diesem Sinne.


54 Led Zeppelin - When the levee breaks 

Wie zur Hölle haben die das gemacht? Warum klingt dieser Song so zeitlos? Wenigstens die Geschichte mit dem im Treppenhaus aufgestellten Schlagzeug ist bekannt. Bonhams mächtiges Gepolter wurde nicht nur von gefühlt jedem Electro- und HipHop-Produzenten dieser Erde in irgendeiner Form verwurstet, sondern sorgt auch dafür, dass Pages und Jones' Bluesriffs ebenso lässig wie panzergleich dahinrollen. Plant singt währenddessen hoch und schrill, und irgendwie nimmt man ihm das auch vierzig Jahre später nicht übel. Ein gewaltiges Stück Musik.


53 Elvis Presley - Fever
Elvis war ein formidabler Sänger. Vielseitig und voluminös war seine Stimme. Und nein, jetzt kommen keine Kalauer zum Erscheinungsbild des kränkelnden Las-Vegas-Showmans der Siebziger. Ähnlich wie im Falle Michael Jacksons gerät ob des ganzen Unfugs, der über die Person geschrieben wurde, viel zu oft in Vergessenheit, dass der Ruhm kein Zufallsprodukt war. Jackson war ein göttlicher Tänzer, Elvis eben in erster Linie ein formidabler Sänger. Das bis auf gezupfte Kontrabasstöne, Fingerschnipser und einige Schlagzeugakzente gänzlich nackt daherkommende "Fever" zeugt vom außerordentlichen Talent des Jünglings mit der Schmalzlocke. Unmöglich ist es, diesen Song jemals besser einzusingen. Die Phrasierungen, die Stimmfarbe...Elvis' Meisterschaft zeigt sich vor allem in der Lässigkeit, mit der er "Fever" ins Mikrophon meißelt. Unnachahmlich. Der King.


52 The Beatles - Something
(kein passables und langlebiges Video auffindbar)

Vielleicht ist "Something" mein liebstes Liebeslied auf dieser Welt. Vielleicht bin ich auch immer noch der irrigen Ansicht, dass Liebeslieder das Lieben ein wenig leidensärmer vonstatten gehen lassen. Vielleicht habe ich auch einfach nur keine Ahnung, wer weiß. Fest steht, dass "Something" zu George Harrisons besten Stücken gehört. Der zurückhaltende Beginn, die drängende Bridge, das verspielte Solo. Alles ist am richtigen Platz. Auch wenn Liebe vielleicht gar nicht möglich ist, ist "Something" ein Beweis dafür, dass die Menschen nicht ausschließlich idiotische Dinge tun. Danke, George.


51 Peter Gabriel - I Grieve
Trauer ist ein merkwürdiges Gefühl. Der Gedanke, einen geliebten Menschen verloren zu haben, vereint sich mit dem Nicht-Wahrhaben-Wollen, dem Erinnern, der aushöhlenden Gewissheit. "The news that truly shocks / is the empty empty page." Wenn der Stuhl plötzlich leer bleibt. Kleider vom Schrank in den Container gebracht werden müssen. Wenn auffällt, dass nicht alles Wichtige gesagt wurde. "They say life carries on". Irgendwann füllt sich die Leere, auch wenn sich alles anders anfühlt als zuvor. "Life carries on in the people I meet." Vom Werden und Vergehen und dem dazwischen verschütt gehen. Vom Weinen, Schlagen, Fäuste ballen. Irgendwann ein Lächeln.