Montag, 22. Dezember 2014

Angehört 2014: Songs

"Some say the end is near / Some say we'll see armageddon soon". Maynard James Keenan bezog sich wahrscheinlich nicht auf Weihnachten und Silvester, als er 1996 jene unvergesslichen Verse zu Papier brachte. Doch egal wie man es dreht und wendet: Das Jahr geht zu Ende. Mit besorgniserregenden Gedankensprüngen in Einleitungen und Best-Of-Listen. Die besten Tierfilme, die besten Nervenzusammenbrüche im Reality-TV, die besten Nobelpreisträger. Alles, was sich irgendwie in eine Reihenfolge bringen lässt, wird sortiert und mit Beschreibungstexten versehen.

2014 habe ich so viel Musik gehört wie zuletzt in der Jugend. Dies hängt natürlich vor allem mit meiner Tätigkeit als Schreiberling für plattentests.de zusammen, aber auch im Allgemeinen ist mein Interesse am Entdecken neuer Klänge so groß wie noch nie. Gehört habe ich dieses Jahr ungefähr 250 Alben, wobei selbstverständlich jede Menge Murks dabei war. Und obwohl ich versuche, möglichst breit gefächert Musik zu erkunden, habe ich etliche der nun in den Listen hoch auftauchenden Platten noch nicht hören können. Macht aber nix. Unvollständigkeit ist obligatorisch.

Bevor ich meine persönlichen Alben des Jahres am 27.12. enthüllen werde, wird es wie schon letztes Jahr in den nächsten Tagen einige andere rückblickende Artikel zu lesen geben. Den Anfang machen heute 10 Lieder, die mich durchs Jahr begleitet haben. Viel Spaß!


Eno / Hyde - Witness
VIMEO

Der gerne mit Attributen wie "Ambient-Pionier" oder "Klanggenie" versehene Brian Eno ist ein umtriebiger Geselle. In schöner Regelmäßigkeit wirft er neue Alben auf den Markt, wobei deren Qualität mit dem Adjektiv "schwankend" noch wohlwollend beschrieben ist. Dass ausgerechnet der Underworld-Sänger Karl Hyde Eno aus der kreativen Sackgasse befördern würde, war sicher nicht abzusehen. Eno und Hyde veröffentlichten dieses Jahr gleich zwei Alben: Das poppige "Someday world" und das krautrockende "High life". "Witness" stammt vom erstgenannten Longplayer und ist ein Paradebeispiel für einen simplen, aber wunderschönen Popsong. Das eigentlich nur um eine einzige Harmonie kreisende Stück schlägt einige Haken, ohne dabei das große Ziel aus den Augen zu verlieren.

Hiss Tracts - Test recording at trembling city
YOUTUBE

"Test recording at trembling city" ist kein Song im eigentlichen Sinne, sondern eine Klangcollage, wobei solche Begriffe eher unzureichend wiedergeben können, was diese sieben Minuten Geräusch mit Menschen anstellen, wenn sie sich darauf einlassen. Das Heulen. Das Grauen. Selbstexperimente haben gezeigt, dass das Stück vor allem bei Dunkelheit und in der Ferne von Menschen besonders wirkmächtig wird. Gewiss nicht Jedermanns Sache, für mich aber eine der tollsten Hörerfahrungen der letzten zwölf Monate.

Grouper - Holding
Leise Töne sind das Spezialgebiet von Liz Harris, die unter dem Pseudonym Grouper Platten veröffentlicht. Nur ein behutsam gestreicheltes Klavier und ein Flüstern sind nötig, um Gänsehaut hervorzurufen. Darauf einlassen muss man sich natürlich, Nebentätigkeiten sind beim Konsum von Grouper-Alben ebenso unzulässig wie undenkbar. Der Tag, an dem solche Musik im Radio laufen kann, wird der Tag der Erlösung sein.

Melanie de Biasio - With all my love
Erinnerungen an Sangesgrößen vergangener Tage werden wach, wenn die Belgierin Melanie de Biasio ihre Stimme erhebt. Die unnahbare Kühle einer Nancy Sinatra schwingt ebenso mit wie die abgründige Erotik einer Nina Simone. De Biasio wird gerne ins Jazz-Fach gesteckt, obwohl ihr derlei Schubladen um einiges zu eng sind. Zwischen Pop, Chanson, Jazz und purem Minimalismus lebt ihre Musik. Musik, die Stille einfordert. Betörend.

David Bowie - Sue (or in a season of crime)
In "Sue (or in a season of crime)" vereinen sich mehrere Inkarnationen des ewigen Selbstveränderers David Bowie. Der Crooner. Der Experimentierer. Der Provokateur. Der alte Mann. Ja, Bowie ist alt geworden. Zum Glück, denn bekannterweise hätte es vor zehn Jahren auch schon vorbei sein können. Doch der Engländer blieb am Leben, trotz Herzinfarkt. Sein letztjähriges Comeback-Album "The next day" gehört noch immer zu den schönsten Überraschungen der jüngeren Popgeschichte. Mit "Sue (or in a season of crime)" setzt Bowie nun seinen späten Höhenflug fort. Mit kräftiger, voller Stimme über brütendem Jazzgefrickel. Düster ist das, ein bisschen bösartig vielleicht sogar. Die Welt braucht das.

Clipping - Get up
Beep beep beep beep. Während andere Snaredrums und Crashbecken sampeln, benutzen die Avantgarde-HipHopper von Clipping lieber einen handelsüblichen Radiowecker. MC Daveed Diggs spuckt wie besessen nackenbrecherische Silbenketten ins Mikrofon, wobei nur der immer wieder dazwischenschlingernde Refrain ihm Zeit zum Verschnaufen gibt. Der Mut und die Aggressivität wie Clipping hier eine Idee konsequent zu Ende denken, verdient maximale Anerkennung.

Earth - From the zodiacal light
Mit Wörtern wie "monolithisch" sollte sparsam umgegangen werden. Die Pathosfalle, Sie wissen schon. Aber manchmal gibt es kein Entrinnen. Manchmal muss auch in Sachen Wortwahl maximal auf die Kacke gehauen werden. Wenn etwa Earth, Musik gewordenes Beschwörungsritual, Wahrnehmung verflüssigen. Wenn Rabia Shaheen Qazi ihre Stimme erhebt und den arschfahlen Mond anklagt. Wenn Dylan Carlson seiner Gitarre Feedbacks entlockt, die nichts außer Freude zurücklassen. Wenn sich "From the zodiacal light" Minute um Minute voranschiebt, um sich selbst dreht, entschwebt. Dann ist Pathos erlaubt. Dann darf man auch "monolithisch" sagen. Monolithisch!

Wanda - Bologna

Erst wollte ich mich weigern. Es nicht gut finden. Weil doch alle es mögen, und ich mich gerne in kindlichem Nonkonformismus suhle. Aber ich habe es dann doch angehört. Einmal. Zweimal. Und dann hat es "klick" gemacht. Seither kriege ich "Bologna" nicht mehr aus dem Kopf. Ein Lied, das zwar simpel, aber ungemein effektiv ist. Zum Schwelgen, Mitgrölen, Tanzen. Wenn schon Befindlichkeitsrock, dann so. Mit Augenzwinkern und Wiener Schmäh.

La Roux - Let me down gently

Elly Jackson alias La Roux war tief in der Versenkung verschwunden. Stolze fünf Jahre vergingen zwischen dem umjubelten Debüt und dem Comeback-Album "Trouble in paradise". Mit "Let me down gently" meldete sich der Rotschopf im Sommer zurück - und wie. Noch immer sind die Achtziger das Jahrzehnt, das den klanglichen Rahmen vorgibt, im Gegensatz zu früher geht Jackson aber weitaus filigraner an die Mission "Retro-Pop mit Charme" heran. "Let me down gently" vollzieht mühelos die Metamorphose vom sehnsüchtigen Schmachtfetzen hin zum waschechten Disco-Schwofer. Geschmackvoll und ganz unangestrengt.

Antilopen Gang - Beate Zschäpe hört U2
Wenn ein Song dafür sorgt, dass Ken Jebsen Anzeige erstattet, muss dieser Song etwas richtig gemacht haben. Mit "Beate Zschäpe hört U2" gelang in diesem Jahr der zum Trio geschrumpften Antilopen Gang ein Überraschungserfolg. Das richtige Lied zur rechten Zeit, sowohl als auch. In Tagen offen zur Schau gestellten Ressentiments und Stumpfsinns ist es eine Wohltat, dass es noch Künstler gibt, die ganz ironiefrei und ungeniert die Dinge beim Namen nennen. Natürlich ist "Beate Zschäpe hört U2" provokant und polemisch. Alles andere wäre angesichts der gewählten Form auch absurd. Recht haben sie trotzdem. Danke, Jungs.

Dienstag, 16. Dezember 2014

kEwL! - Erinnerungen an VIVA


Es ist schon einige Sonnenumrundungen her, dass es noch Musikfernsehen gab. Die Älteren unter euch werden sich sicher erinnern. Das altehrwürdige MTV flimmerte ja schon seit Anfang der Achtziger über die Mattscheiben, und war auch noch im darauf folgenden Jahrzehnt ein unverzichtbarer Bestandteil jeglicher musikalischen Sozialisation. Irgendwann während des Höhepunkts der ebenso kunterbunten wie geschmacksbefreiten Spaßwelle zu Beginn des letzten Jahrzehnts des zweiten Milleniums muss es sich zugetragen haben, dass einige findige Damen und Herren die Idee forcierten, einen deutschsprachigen Musik- und Jugendsender zu starten. Und so kam es, dass am 1.12.1993 die sogenannte Videoverwertungsanstalt auf Sendung ging.

Besser bekannt ist diese Anstalt natürlich als VIVA. Ich würde behaupten, dass so ziemlich jeder, der irgendwann zwischen 1980 und 1990 geboren wurde, irgendwelche Erinnerungen mit dem in Köln beheimateten Sender verbindet. Das, was VIVA in den ersten Jahren seiner Existenz so einzigartig machte, waren zwei Dinge: Enthusiasmus und Dilettantimsus. Geld war nämlich nur spärlich vorhanden, sodass die Moderatoren (auch VJs genannt) vor ziemlich billigen Pappkulissen herumturnen und ihre Sendungen größtenteils am seidenen Faden der Improvisation abwickeln mussten. DIes taten sie jedoch mit einer an Hyperaktivität grenzenden Begeisterung, die sich auch auf das jugendliche Publikum übertrug. Die Moderatoren der Neunziger, allesamt um die 20 Jahre alt, waren nicht nur reine Clipansagemaschinen, sondern auch Identifikationsfiguren für eine ganze Generation von fernsehschauenden Heranwachsenden. 


Nicht vergessen: Wir befinden uns hier noch in der guten alten Zeit. Internet wurde pro Minute abgerechnet und Handys waren so groß (und unpraktisch) wie Telefonzellen. Dennoch wurde Interaktivität bei VIVA groß geschrieben. Viele Shows drehten sich darum, dass Zuschauer beim Sender anriefen, sich Clips wünschen durften oder bei Spielen mitwirken konnten. Besonders das sinnig betitelte "Interaktiv" war diesbezüglich das Flaggschiff. Bei dieser Sendung wurden Stars greifbar, indem sie auf dem quietschbunten Sofa dümmliche Fragen der mindestens koffeinisierten Moderatoren beantworteten und dem gruselig gekleideten und aknegeplagten Teeniepublikum im Studio sogar noch ein Ständchen gaben. Bisweilen nutzten Prominente die Show auch für ganz und gar boshaften Schabernack. So trat Hape Kerkeling als finnischer Rocker "R.I.P. Uli" auf und brachte mit seiner Kooperationsunlust die ziemlich überforderte Moderatorin Milka (ja, die hieß wirklich so!) zur Verzweiflung.


VIVA fungierte für viele heute noch bekannte Mediengrößen als Startrampe, so machten unter anderem Heike Makatsch, Stefan Raab oder Matthias Opdenhövel ihre ersten tapsigen Schritte im Lichte der TV-Kameras der Videoverwertungsanstalt. Auch mediale Unsäglichkeiten wie Oliver Pocher oder Gülcan Kamps durften ihr eher überschaubares Talent bei VIVA der Öffentlichkeit präsentieren. Während meiner VIVA-Zeit (1995 - 1999) lief der Sender eigentlich fast jeden Tag nebenbei, bzw. wurde angezappt, wenn woanders gerade Werbung lief. Meine absolute Lieblingssendung jener Tage war das von Tobias (Tobi) Schlegl moderierte "kEwL". Diese Sendung kann am ehesten mit dem Wort "Anarchie" beschrieben werden. Angelehnt an die immens erfolgreichen Formate des Stefan Raab drehte sich bei "kEwL" alles um den fröhlich dahinbrabbelnden Moderator, der sich fast nach Belieben austoben durfte.


Neben den üblichen Videoclips bestach Schlegls Show vor allem durch eingestreute Comedy-Filmchen, die den Jungspund in allerlei verfänglichen Situationen zeigten, bzw. parodistisch angelegt waren. Der behaarte und urkölsche Sidekick Schlegls in diesen Filmen war der "Minipli Man", ein Zeitgenosse, der ungefähr den selben Sex-Appeal wie eine durchschnittlich attraktive Mettwurst verströmte. Der "Minipli Man" begegnete den infantilen Späßen seines Counterparts mit rheinischem Gleichmut, woraus nicht selten herrlich absurde Situationskomik entstand. Unvergessen ist zum Beispiel "Müchü Mün", eine ganz und gar schauderhafte Neuvertonung obskurer türkischer Actionstreifen aus grauer Vorzeit:


Mitte bis Ende der Neunziger war VIVA derart erfolgreich, dass sich die Betreiber sogar den Luxus erlauben konnten, einen weiteren Kanal an den Start zu bringen: VIVA ZWEI widmete sich der alternativen Musik, und errang binnen kürzester Zeit Kultstatus bei Fans schräger Klänge. Die Person, die VIVA ZWEI verkörperte wie keine andere war Charlotte Roche, deren radikal verdrehte Interpretation des Girlie-Prinzips perfekt in Zeit und Glotze passte. Profitabel war das "andere" VIVA sicherlich nicht, es zeugt jedoch von gewissem Mut, in einer Ära, in der die alternative Musik in Ziellosigkeit und Epigonentum badete, einen solchen Sender zu lancieren. Und natürlich gab es auch echte musikalische Perlen zu entdecken, wofür ich und sicherlich viele meiner Altersgenossen Roche, Kavka, Clein (Gott hab ihn selig...) und Kollegen  sehr dankbar sind.


Mit VIVA ging es spätestens nach der Jahrtausendwende steil bergab. Der Siegeszug des Internets bedeutete auch eine existenzielle Krise für das Musikfernsehen. Plötzlich musste man nicht mehr Stunden vor dem TV verbringen, um "sein" Video zu sehen. Auch die meisten Moderatoren der Anfangstage hatten dem Sender den Rücken gekehrt und sich auf mehr oder minder erfolgreiche Karrierewege begeben. Einzig der unverwüstliche Mola Adebisi blieb dem Sender bis 2004 erhalten. Auch VIVA ZWEI wurde bereits 2002 zur Klingeltonhölle VIVA plus umstrukturiert. Der letzte Unterhaltungsfaktor, der durch VIVA populär wurde, war der heute omnipräsente Klaas Heufer-Umlauf, der zwischen 2004 und 2009 bei dem Kölner Sender arbeitete. Der Charme der Anfangstage war da aber schon längst verflogen. 

Heute existiert VIVA tatsächlich immer noch, auch wenn es inzwischen dem amerikanischen Medienkonzern Viacom gehört und nur noch äußerst selten Musikvideos ausstrahlt. Wer heute bei VIVA landet, wird meistens von Cartoonserien begrüßt. Sic transit gloria schundi.



DING DONG, ZWOBOT IST TOT.

Freitag, 29. August 2014

100 Songs (60 - 51)

Nach einer derart langen Phase der Inaktivität stellt dieser Artikel quasi einen Neustart des Blogs dar. Immerhin habe ich jetzt eine fertiggestellte Abschlussarbeit vorzuweisen und einige erholsame Urlaubswochen hinter mir. Dass der Anhörer sich nicht ins Nirwana verabschiedet, verspreche ich hiermit. Dass nun auch wieder regelmäßig neue Texte erscheinen werden ebenso. 


60 Soundgarden - Jesus christ pose 

Wenn es einen Song gibt, der Psychosen auslösen kann, dann "Jesus christ pose", vor allem in Verbindung mit dem epilepsiefördernden Video. In knapp sechs Minuten brennen Soundgarden ein Feuerwerk aus kreischenden Gitarren und unbarmherzig voranpreschenden Riffs ab, während Chris Cornell zeigt, weshalb an ihm ein begnadeter Hard-Rock-Sänger verloren gegangen ist. Ist das jetzt dieser sagenumwobene Grunge? Quatsch. Das ist irrer Eierkneif-Metal für Patienten der Geschlossenen. Während Cobain einige Jahre später im Video zu "Heart-shaped box" einen ausgemergelten Bartträger ans Kreuz nageln ließ, muss bei den Klanggärtnern eine schöne Frau die titelgebende Körperhaltung einnehmen. Video und Song spielen mit ästhetischen Konventionen des Genres - und brechen sie konsequent. Der Machismo der ausklingenden Achtziger wird im wahrsten Sinne des Bildes in die Wüste geschickt. Zeitgenössischerweise natürlich in Falschfarben.


59 Bright Eyes - I believe in symmetry

"Some plans were made and rice was thrown / A house was built, a baby born / How time can move both fast and slow / Amazes me". Conor Oberst braucht gerade einmal dreieinhalb Zeilen, um jenes Gefühl der staunenden Ohnmacht, die mit dem sogenannten "Erwachsenwerden" und Sich-Binden ins Leben vieler Menschen dringt, einzufangen. Doch Oberst verweigert sich in den folgenden Strophen jeder Unmissverständlichkeit. Er erzählt vom Umherirren und dem Wunsch nach Beständigkeit. Auch wenn das erstens unmöglich und zweitens falsch ist. Was bleibt, ist das Sehnen. Das Suchen. Nach exakt drei Minuten und vierzig Sekunden öffnen sich schließlich alle Schleusen. So schön, so kurz, so wunderschön, so verdammt kurz. Wie das Leben, so der Song.


58 Dover - The weak hour of the rooster

Gibt es so etwas wie euphorische Melancholie? Der Refrain von "The weak hour of the rooster", einem Song der spanischen Pop-Punker Dover, vereint jene eigentlich nicht zueinanderpassenden Gefühle mit seelenerschütternder Leichtigkeit. Die zarte Stimme von Cristina Llanos muss ziemlich kämpfen, um sich im Lärm der bratzenden Gitarren und gewirbelten Trommeln Gehör zu verschaffen. Mit Bravour meistert sie diese Aufgabe und singt eine Melodie, die düstere Mienen aufhellt und vielleicht sogar ein bisschen Leben rettet. "The weak hour..." ist ein Lied, das sich gut in jedem Erste-Hilfe-Koffer machen würde. 


57 Pearl Jam - Thin air
Irgendwann waren Pearl Jam nicht mehr cool. Für die meisten Hörer war dieser Punkt bereits mit dem verschrobenen "Vitalogy" erreicht. Für mich sollte es bis "Riot act" dauern. Dass das in Gänze eher schwer verdauliche 2000er-Album "Binaural" noch Liebe hervorrief, lag primär an "Thin air". Einem von Gitarrist Stone Gossard komponierten Song, der entspanntes Lagerfeuer-Geschrammel mit einer der eindringlichsten Gesangsleistungen Eddie Vedders kombiniert. Simpel kann man das finden, vielleicht sogar ein bisschen banal. Aber die augenscheinliche Banalität, die in Wirklichkeit lebenserfahrene Tiefenentspannung ist, ist mir um einiges lieber als die emotional erhitzte Teenagermucke der "Ten"-Ära. "Alive" und "Jeremy" mögen langsam verblassen, "Thin air" wird mit dem Alter immer besser.


56 Ideal - Erschießen
Bumm-Schepper-Schepper. Auftritt des Vibraphons. Schepper-Schepper-Klimper. "Komm wir lassen uns erschießen, zwei Kugeln mitten ins Gehirn." Ist das wirklich Annette Humpe? Jene Dame, die später die Prinzen und Ich & Ich verbrechen sollte? Aber sicher doch. Ideal waren nicht immer gut, vor allem die politisch allzu eindeutige Spätphase der Band macht ziemlich betroffen. "Erschießen" ist jedoch noch uneingeschränkt großartig. Bumm-Schepper-Schepper macht die Band, und Humpe keift ihren Text wie eine angeschossene Katze. Besser kann man kaum über den allesverzehrenden Stumpfsinn des bürgerlichen Alltags herziehen. Peng-Schepper-Schepper.


55 Placebo - pure morning

Mal ehrlich: Brian Molko ist ein ziemlicher Langweiler. Seit über fünfzehn Jahren nölt er seine aus maximal fünf Tönen bestehenden Nicht-Melodien. Entwicklung? Fehlanzeige. Dass seine Band mittlerweile ziemlich unwichtig ist, hat sicherlich auch mit der stilistischen Unbeweglichkeit ihres Frontmannes zu tun. Zudem haben Placebo die Ausfahrt zum Stadionrock verpasst, sodass sie nun ein stilles Dasein als mittelmäßig vor sich hin musizierende Band für Gestrige fristen. Auf "Without you I'm nothing" war die Welt noch jünger, und Molko tatsächlich noch androgyn. Dem das Album eröffnende "Pure morning" hört man zwar inzwischen sein Alter an, für schwelgerisch-verpeilte Morgenspaziergänge nach durchzechten Nächten reichts aber allemal. "A friend in need's a friend indeed / A friend with weed is better". In diesem Sinne.


54 Led Zeppelin - When the levee breaks 

Wie zur Hölle haben die das gemacht? Warum klingt dieser Song so zeitlos? Wenigstens die Geschichte mit dem im Treppenhaus aufgestellten Schlagzeug ist bekannt. Bonhams mächtiges Gepolter wurde nicht nur von gefühlt jedem Electro- und HipHop-Produzenten dieser Erde in irgendeiner Form verwurstet, sondern sorgt auch dafür, dass Pages und Jones' Bluesriffs ebenso lässig wie panzergleich dahinrollen. Plant singt währenddessen hoch und schrill, und irgendwie nimmt man ihm das auch vierzig Jahre später nicht übel. Ein gewaltiges Stück Musik.


53 Elvis Presley - Fever
Elvis war ein formidabler Sänger. Vielseitig und voluminös war seine Stimme. Und nein, jetzt kommen keine Kalauer zum Erscheinungsbild des kränkelnden Las-Vegas-Showmans der Siebziger. Ähnlich wie im Falle Michael Jacksons gerät ob des ganzen Unfugs, der über die Person geschrieben wurde, viel zu oft in Vergessenheit, dass der Ruhm kein Zufallsprodukt war. Jackson war ein göttlicher Tänzer, Elvis eben in erster Linie ein formidabler Sänger. Das bis auf gezupfte Kontrabasstöne, Fingerschnipser und einige Schlagzeugakzente gänzlich nackt daherkommende "Fever" zeugt vom außerordentlichen Talent des Jünglings mit der Schmalzlocke. Unmöglich ist es, diesen Song jemals besser einzusingen. Die Phrasierungen, die Stimmfarbe...Elvis' Meisterschaft zeigt sich vor allem in der Lässigkeit, mit der er "Fever" ins Mikrophon meißelt. Unnachahmlich. Der King.


52 The Beatles - Something
(kein passables und langlebiges Video auffindbar)

Vielleicht ist "Something" mein liebstes Liebeslied auf dieser Welt. Vielleicht bin ich auch immer noch der irrigen Ansicht, dass Liebeslieder das Lieben ein wenig leidensärmer vonstatten gehen lassen. Vielleicht habe ich auch einfach nur keine Ahnung, wer weiß. Fest steht, dass "Something" zu George Harrisons besten Stücken gehört. Der zurückhaltende Beginn, die drängende Bridge, das verspielte Solo. Alles ist am richtigen Platz. Auch wenn Liebe vielleicht gar nicht möglich ist, ist "Something" ein Beweis dafür, dass die Menschen nicht ausschließlich idiotische Dinge tun. Danke, George.


51 Peter Gabriel - I Grieve
Trauer ist ein merkwürdiges Gefühl. Der Gedanke, einen geliebten Menschen verloren zu haben, vereint sich mit dem Nicht-Wahrhaben-Wollen, dem Erinnern, der aushöhlenden Gewissheit. "The news that truly shocks / is the empty empty page." Wenn der Stuhl plötzlich leer bleibt. Kleider vom Schrank in den Container gebracht werden müssen. Wenn auffällt, dass nicht alles Wichtige gesagt wurde. "They say life carries on". Irgendwann füllt sich die Leere, auch wenn sich alles anders anfühlt als zuvor. "Life carries on in the people I meet." Vom Werden und Vergehen und dem dazwischen verschütt gehen. Vom Weinen, Schlagen, Fäuste ballen. Irgendwann ein Lächeln.

Sonntag, 22. Juni 2014

100 Songs (70 - 61)

Eigentlich müsste ich ja an meiner Abschlussarbeit werkeln. Aber ihr wisst, wie das läuft.

70 Red Hot Chili Peppers - Road trippin'

Ich habe lange überlegt, welchen Song der Peppers ich repräsentativ in meine Liste packen sollte. Neben offensichtlichen Kandidaten wie "Under the bridge" stand z.B. auch das rockige "Parallel universe" in der engeren Auswahl. Geschafft hat es letzten Endes "Road trippin'", ein simpler Akustiksong mit herrlichem Gitarren- und Bassspiel von Frusciante und Flea. Zudem ist "Road trippin'" eine der wenigen RHCP-Nummern, die textlich über das ermüdende Kiedis-Dreieck aus Esoterik, Sex und esoterischem Sex hinausgehen. Richtig greifbar wird die schlichte, aber schöne Grundaussage des Liedes übrigens durch den hervorragenden Videoclip, in welchem Kiedis, Flea und Frusciante gemeinsam ums Lagerfeuer sitzen und die Flammen anschmachten. Zeitlos!

69 Prince - Sign 'o' the the times
(kein brauchbares Video auffindbar)
Prince ist im Gegensatz zu seinem ewigen Widersacher Michael Jackson noch am Leben. Und anders als "Wacko Jacko" gelang es dem Funk-Genie aus Minnesota auch, halbwegs in Würde zu altern, wenngleich seine neuen Alben ziemlich mittelprächtige Angelegenheiten waren. Mitte der Achtziger war Prince teilweise sogar populärer als Jackson, was neben seinem extravaganten Auftreten tatsächlich auf seine hervorragende Musik zurückzuführen war. "Sign 'o" the times" ist der Titeltrack des gleichnamigen Doppelalbums, und basiert auf einem staubtrockenen Groove, der durch minimalistische Gitarrenlicks bewässert wird. Eine unglaublich zynische Nummer, der es hervorragend gelingt, den Zeitgeist der Reagan-Ära einzufangen.

68 Pulp - Common people

"Common People" ist ein perfekter Song. Jede Zeile sitzt, jede der nach und nach hinzukommenden Spuren verstärkt den Strudel, in den Jarvis Cocker und Band geraten sind. Es geht bergab, und zwar schnell. Der Sänger berichtet von einer Begegnung mit einer Kunststudentin, die endlich einmal so leben möchte, wie es die "normalen Leute" tun, und sich hierzu Cocker als Versuchskaninchen auserkoren hat. Schnell wird klar, dass Wunsch und Wirklichkeit unvereinbar sind. Der Stumpfsinn, die Existenzangst, der trotzige Hedonismus jener Durchschnittsmenschen bleibt dem neugierigen Gör aus besserem Hause verschlossen. Cocker höhnt: "You'll never watch your life slide out of view / And dance and drink and screw / Because there's nothing else to do". Doch ist Jarvis Cocker als Popsänger nicht selbst ein Schnösel, der sich zum Sprachrohr der Vergessenen erklärt? Und: Macht er das überhaupt? Ist es nicht sogar so, dass Pulp uns Hörern hier einen riesengroßen Bären aufbinden? Wie auch immer man "Common people" interpretiert: Dass ein Song mit so eindeutigen Zeilen wie "Because you think that poor is cool" dennoch so offen angelegt ist, macht ihn zum Meisterwerk. Es gibt übrigens eine ganz und gar großartige Coverversion des Songs von William Shatner, die dem alten Grantler von Ben Folds auf den Leib arrangiert wurde.

67 John Frusciante - Remain

Frusciante als Solokünstler ist eine schwierige Sache. Da gibt es seine wirren Frühwerke, die zwar beeindruckende Dokumente eines Künstlers am Abgrund darstellen, aber nur extrem selten hörbar sind. Dann sind da noch seine Anfang des letzten Jahrzehnts im Rekordtempo veröffentlichten Alben, von denen keines wirklich schlecht, aber auch keines absolut herausragend ist. Darüber hinaus existiert noch sein "Spätwerk", in welchem er viel versucht, aber auch oft über das Ziel hinaus schießt. Und schließlich, ja schließlich ist da noch "To record only water for ten days". Jenes Low-Fi-Wunderwerk, das kurz nach der erfolgreichen Wiederherstellung Frusciantes aufgenommen worden war. Das Album ist sperrig, und soundtechnisch teilweise regelrecht anstrengend, es enthält jedoch auch einige der faszinierendsten Kompositionen aus Frusciantes Feder. Der Song "Remain" besteht aus zwei klar voneinander abgegrenzten Teilen: Dem unterkühlten und zurückhaltenden Anfang, und dem orgiastischen Finale, in welchem John wieder einmal mit nur wenigen Solo-Tönen mehr aussagt als John Petrucci auf einem ganzen Album. 

66 PJ Harvey - All and everyone

Bei "All and everyone" bekomme ich auch über zwei Jahre nach Erstkontakt immer noch Gänsehaut. Der Wechsel zwischen den elfenhaft hoch gesungenen Parts und der treibend-klagenden Bridge ist verdammt ausgefuchst. PJ Harvey hat sich ohnehin im Laufe ihrer mittlerweile über 20 Jahre währenden Karriere erstaunlich gewandelt. Aus der wütenden jungen Frau der "Rid of me"-Tage ist heute eine Songwriterin geworden, die von Album zu Album ihrem Sound neue Facetten hinzufügt und ein erstaunliches Gespür für die Zeit, in der wir leben, entwickelt hat.

65 Snoop Dogg - Vapors

Heute ist Snoopy D-O-Double-G so etwas wie der Hofnarr des HipHop. Dauerbekifft (oder zumindest dauerbekifft wirkend) irrlichtert Calvin Broadus durch diverse TV- und Web-Formate, während er in regelmäßigen Abständen relativ verzichtbare neue Alben veröffentlicht. Lustig ist der Typ ohne Zweifel, und vielleicht verbirgt sich hinter der Sonnenbrille sogar ein weiser Schelm, der genau weiß, was er da tut. Hört man sich Snoops Alben der goldenen G-Funk-Era an, wirken sie wie Botschaften aus einem anderen Universum. Der Clown der Gegenwart war Mitte der Neunziger tatsächlich ein echter Styler, wobei er im Gegensatz zu anderen Gangster-Rappern schon damals viele Tracks mit einem Augenzwinkern versah. "Vapors" von Snoops Zweitling "Tha Doggfather" besitzt einen Beat, der derart cool ist, dass man mit ihm wahrscheinlich die globale Erwärmung stoppen könnte. Okay, das war jetzt ein übertriebener und unkreativer Vergleich. Zweiter Versuch: "Vapors" ist so laid back wie ein zurückgeklappter Sitz in einem Cadillac bei bestem Wetter. Ach, was solls: Ich liebe "Vapors"!

64 Falco - Ganz Wien

Der Hölzel Hansi alias Falco hätte so etwas wie der österreichische Bowie werden können, wenn er denn den Mut gehabt hätte, den auf seinen ersten beiden Alben eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Stattdessen kamen "Rock me Amadeus" und "Jeanny", zwei formidable Hits, die jedoch im Vergleich zu Falcos Anfängen wie kindische Schlager klangen. Besonders auf seinem Debüt "Einzelhaft" spielte Falco meisterhaft mit den damals aktuellen Trends und Sounds der Popmusik, und verlieh ihnen jene unnachahmliche Note aus Arroganz und Schmäh, die ihn berühmt machen sollte. "Ganz Wien" ist eine relativ alte Nummer, die noch aus Falcos Drahdiwaberl-Zeiten stammt. Das Lied erzählt vom schönen Schein des Wach-Seins im damals ganzjährig schneebedeckten Wien. Dass der Rausch nicht von Dauer sein konnte, war allen Beteiligten sicherlich klar. Aber wen interessiert die Dauer, wenn ihm die Gegenwart gehört?

63 Amplifier - Interstellar

Gute Gitarrenriffs sind rar. Es ist aber auch verdammt schwierig, dem Sechssaiter nach über 50 Jahren Rockgeschichte noch irgendetwas zu entlocken, das nicht schon so oder so ähnlich zu hören gewesen war. Darüber hinaus befindet sich die Rockmusik ohnehin in einem Dornröschenschlaf, außerhalb der in engen musikalischen Korsetten operierenden Genremusik gibt es derzeit kaum noch Impulse, die den Schlaf beenden könnten. Die letzte spannendere konventionelle Rockband waren meiner Meinung nach Amplifier. Das britische Quartett, das lange Zeit als Trio unterwegs gewesen war, hauchte dem guten alten Space-Rock neues Leben ein, indem es sich auf das Wesentliche beschränkte: Dicke Riffs, verrückte Sounds, Songs in Überlänge. "Interstellar" stammt vom Amplifier-Mammutwerk "The Octopus", einem über zwei Stunden langen Bombast-Monstrum. Und "Interstellar" besitzt ein prägnantes Gitarrenriff. Clever synkopiert walzt es zehn Minuten lang vor sich hin, ehe in einem furiosen Schlussteil die Hütte eingerissen wird. Der Song endet mit einer tiefen Verbeugung vor den Erfindern des Genres. "And I know / That you set the control / For the heart of the sun". Aber über Pink Floyd wird noch an anderer Stelle zu sprechen sein.

62 Deep Purple - Highway star

In der Schulzeit war ein Freund von mir fanatischer Deep-Purple-Fan. Er besaß jedes Album, konnte nahezu jeden Song auswendig und schreckte auch nicht davor zurück, am Morgen nach einer Party die noch leicht verkaterten Über-Nacht-Gebliebenen mit dem Debüt der britischen Hardrock-Pioniere zu beschallen. Zu den Favoriten meines Freundes gehörte natürlich auch das legendäre Japan-Livealbum, das auch die ultimative Version von "Highway star" enthält. Wie eine Dampflok brettert die Band von Riff zu Riff, um am Ende kommt Ritchie Blackmore fast nicht mehr hinterher. Ian Gillan singt unterdessen wie ein junger Gott, während Jon Lord seiner Orgel ebenso merkwürdige wie coole Geräusche entlockt. Für mich, der mit solcher Musik eigentlich wenig anfangen konnte, war "Highway star" schon immer so etwas wie die perfekte Ausnahme von der Regel. Hier greifen die einzelnen Zahnräder tatsächlich perfekt ineinander, kein Ton ist überflüssig. Und auch die Virtuosität der Beteiligten ist mehr als bloßes Mittel zum Zweck.

61 Depeche Mode - The bottom line

Mit diesem Song habe ich Singen gelernt. Ich erinnere mich noch gut, dass ich 2001, als ich gerade in meine erste Band eingestiegen war, täglich versuchte, meine damals noch ziemlich dünne Stimme zu trainieren. Gerade die tieferen Regionen bereiteten mir - der Stimmbruch war noch nicht lange her - noch große Probleme. Das Übungsmaterial meiner Wahl war damals "The bottom line" von Depeche Mode. Die Ballade, gesungen von Martin L. Gore, befindet sich auf dem 97er-Meisterwerk "Ultra" und zählt zu den unscheinbarsten Gore-Kompositionen, was jedoch nicht ihre Intimität und Intensität schmälert. "Like a cat dragged in from the rain / Who goes straight back out / To do it all over again / I'll be back for more." Geht es um Liebe? Um Sucht? Um Beides? Loslassen ist auf jeden Fall unmöglich. Der Song endet mit Schlussversen, die sich mir auf ewig eingebrannt haben: "The sun will shine / The bottom line / I follow you". Zehn Wörter, die so viel mehr sagen.

Mittwoch, 11. Juni 2014

100 Songs (80 - 71)

Ist das heiß draußen! Selten bot es sich mehr an, den Tag am Schreibtisch zu verbringen. Vorhang auf für zehn weitere Lieblingslieder:

80 Marlene Dietrich (u.a.) - Lili Marleen

"Lili Marleen" ist das mit Abstand älteste Stück, das es in meine Liste geschafft hat. Der Song hat eine ebenso wechselvolle wie faszinierende Geschichte hinter sich. Das Lied ist untrennbar mit dem zweiten Weltkrieg verbunden und wurde sowohl seitens deutscher Soldaten als auch von Militärs der Alliierten gehört und gesungen. Dass es sich bei "Lili Marleen" nicht um einen jener grauenhaften Propaganda-Schlager handelt, gilt es hervorzuheben. Melancholisch ist der Chanson, der u.a. von Marlene Dietrich, Greta Garbo und Anne Shelton gesungen wurde. Noch heute haftet der Komposition eine eigentümliche Zeitlosigkeit an. Leider.

79 Tori Amos - Northern Lad

"Northern Lad" ist angesichts der umfangreichen Diskographie und der zahlreichen prominenteren Songs von Tori Amos sicherlich eine eher überraschende Wahl. Genauso gut hätten hier "Horses", "Winter" oder "Hotel" stehen können. Warum also "Northern Lad"? Die Ballade, die auf Toris letztem wirklich uneingeschränkt tollen Album "From the choirgirl hotel" enthalten war, ist sicher nicht der spektakulärste Song aus der Feder der rothaarigen Pianistin. Aber gerade die Einfachheit und Unmittelbarkeit macht "Northern Lad" zu einem echten Kleinod. Die wundervolle Gesangsmelodie tut ihr Übriges dazu.

78 Oma Hans - Ideale Fadenkreuze

Mit Oma Hans verbinde ich ganz persönliche Erinnerungen. Zu meiner Schulzeit war die Band eine Art Geheimtipp im erweiterten Freundeskreis, und obwohl ich eigentlich ansonsten eher wenig mit deutschsprachigem Punkrock anfangen konnte, begleitete mich die Kapelle um das Multitalent Jens Rachut seitdem durchs Leben. Zudem handelt es sich bei der Musik von Oma Hans - übrigens einer der tollsten Bandnamen überhaupt - nicht um generischen Stumpfpunk, sondern um cleveren Krach, der auch bzgl. der Texte absolut einzigartig ist. Begleitmusik zum Biersaufen ist das auf jeden Fall nicht. Die Verweigerungshaltung, für die Rachut und so ziemliche alle Bands des Schiffen-Labels stehen, duldet keine Identifikation. Weder besoffen noch nüchtern.

77 The Chemical Brothers - Asleep from day

Dieses Lied werden wohl nur wenige von euch kennen. Ein ruhiges, leicht trippiger Ausflug in die Tagträumerei, gesungen von der wundervollen Hope Sandoval. Die Chemical Brothers waren während ihrer Hochzeit weit mehr als nur schnöde Big-Beat-Afficionados - besonders ihre Alben "Surrender" und "Come with us" enthalten einige sehr packende Tracks. "Asleep from day" ist eines der ruhigsten Stücke des englischen Duos, gleichzeitig ist es aber auch ein Beweis dafür, dass auch mit simplen Mitteln eine extrem dichte Atmosphäre erzeugt werden kann. Brian Eno, dessen Werk in Sampleform gehuldigt wird, stand hier Pate.

76 New Order - Blue monday

Das Eis ist dünn. "Blue monday" in einer Lieblingsliederliste zu haben, ist ungefähr so mutig wie Bayernfan zu sein. Aber ginge es mir um die bloße Darstellung meines musikalischen Horizonts und nutzlosen Faktenwissens, würden sich ohnehin ganz andere Lieder in dieser Liste tummeln. Hits sind daher nicht verboten - schon gar nicht, wenn sie, obwohl sie bereits 30 Jahre auf dem Buckel haben, noch immer fast staubfrei daherkommen. "Blue monday" ist tatsächlich eine Blaupause für ein ganzes Genre, nämlich das des Electropop. Selbst die elektronische Tanzmusik, die Ende der Achtziger die Welt erobern sollte, schielt hier bereits um die Ecke. Das Adjektiv "visionär" wird viel zu oft benutzt, hier ist es jedoch absolut angebracht.

75 Sport - Newton
Das Debüt der deutschen Noiserocker hieß seinerzeit "Aufstieg und Fall der Gruppe Sport". Ein sperriger, aber prophetischer Titel: Anfangs als Hoffnungsträger der deutschsprachigen Rockmusik gefeiert, verlor die Gruppe relativ schnell den Fokus und lieferte nach dem grandiosen Debüt nur noch Durchschnittskost ab. "Newton" war der Eröffnungstrack des Debütalbums, und gehört zweifellos zu den Besten seiner Zunft. Die Gitarren bratzen, das Schlagzeug donnert. Sonderlich filigran ist das natürlich nicht, aber für jemanden wie mich, der eine Schwäche für übergewichtige Gitarrenriffs hat, genau das Richtige.

74 Kanye West - Hold my liquor
Über diesen Song habe ich ja bereits in meiner Retrospektive zum Musikjahr 2013 geschrieben. Und meine Meinung bleibt bestehen: "Hold my liquor" ist ein Geniestreich. Von den sperrigen Strophen über den sphärischen Refrain bis hin zum atemberaubenden Schlusspart: Hier passt alles. Der Musiker Kanye West scheint im Gegensatz zur Person Kanye West ziemlich genau zu wissen, worauf es ankommt. Und auch wenn "Yeezus" in einigen Jahren als extrem typisches Album für seine Zeit gesehen werden wird, so war es doch die richtige Platte zur rechten Zeit. Besser als lauwarme Aufgüsse früherer Großtaten (hallo, Eminem!) war es auf jeden Fall.

73 Mono - Moonlight

Mono sind keine besonders spannende Band. Eigentlich machen die Japaner seit einem Jahrzehnt immer das Gleiche. Und eigentlich ist das ganz schöner Kitsch. Besonders auf den jüngeren Veröffentlichungen übertrieben sie es mit den Geigen und dem Schönklang dann doch immens. "Moonlight" stammt aus den "mittleren" Jahren der Gruppe, und ist ein fast viertelstündiges Post-Rock-Crescendo. Im Mittelpunkt steht eine waidwunde Tremolo-Gitarre, die nach und nach unter einem Berg aus Lärm und Staub begraben wird. Kann man sicher nicht oft hören, ist in den richtigen Momenten aber besser als Sex.

72 Cursive - Art is hard
"Art is hard" ist ein typisches Anfang-20-Lied. Die jugendliche Unschuld hat sich verflüchtigt. Was bleibt, ist eine Form des Zynismus, mit der man erst einmal umgehen können muss. Die Welt ist kein Streichelzoo, und das Publikum, für das man sich Tag für Tag zum Affen macht, kommt meistens nur wegen jenes Liedes, das täglich im Radio läuft. Mit Arroganz hat das wenig zu tun, eher mit der Erkenntnis, dass mit dem Erwachsenwerden auch die Existenz der Anderen als Bedingung des eigenen Schaffens akzeptiert werden muss. Eine Performance, die man Tag für Tag wiederholt, ist für die Zaungäste ein einmaliges Event. Eine Diskrepanz, die manche mit "Professionalität" füllen. Andere machen einfach ein Lied darüber und zeigen dem Wiederholungszwang den Mittelfinger.

71 The Beatles - Paperback writer

Da sind sie ja endlich! Diese Beatles. Schon eine gute Band, auch wenn die Stones wahrscheinlich die besseren Livemusiker waren. Bei der Auswahl der Beatles-Songs für diese Liste habe ich mich vor allem darauf konzentriert, jene Stücke auszuwählen, die in Sachen Innovationskraft herausragen. "Paperback writer" stellt so etwas wie den ersten Indie-Rock-Song der Musikgeschichte dar. Auf Basis einer deutlich fetteren Produktion errichten Lennon, McCartney und Harrison ihre zum Markenzeichen gewordenen Luftschlösser aus Harmoniegesang, während die Gitarre deutlich angezerrt eines der einprägsamsten Riffs der Sixties zum Besten geben darf. Die Definition eines Gute-Laune-Liedes.

Mittwoch, 28. Mai 2014

100 Songs (90 - 81)

Kleine Vorabbemerkung: Eigentlich würde ich gerne Videolinks zu den jeweiligen Songs posten, bei vielen Künstlern befinden sich jedoch keine "offiziellen" Videos auf Youtube. An sich wenig problematisch, im Hinblick auf die merklich härter gewordene Löschungspolitik von Google lasse ich in der nächsten Zeit etwas Vorsicht walten. Nicht nur, weil ich Ärger von meinem Blog fernhalten möchte, sondern v.a. weil viele Videos entweder sehr schnell wieder von Youtube entfernt werden, oder nur via Proxy abrufbar sind. Toll finde ich das nicht. 

Wobei es mir als Blogger noch besser ergeht als Streamern und Contentproducern. Da werden teilweise Kanäle gesperrt, die ganz offiziell Videospiele testen. Der Grund: Viele Spiele enthalten lizensierte Musik, und die darf nicht von Dritten weiterveröffentlicht werden. So langsam wird es Zeit für ein Open-Source-Modell im Musikbereich. Aber genug gemeckert, jetzt gehts weiter mit Liedern, die die Welt braucht:


90 Dio - Holy diver
Vom unverkennbaren Wabern des Intros über den epochalen Einstieg der Band bis hin zur unzerstörbaren ersten Zeile: So fangen Meilensteine an. "Holy diver" ist einer jener Songs, die man schon nach dem ersten Hören nie mehr aus dem Kopf bekommt. Dies liegt natürlich nicht nur an der schieren Eingängigkeit von Riff und Refrain, sondern vor allem an der Stimme Ronnie James Dios, die alle relevanten Merkmale des Hard Rock in sich vereint. Kraftvoll, rauh und mühelos thront Dios Organ über einem Lied, das seinen Schöpfer sehr lange überdauern wird. 

89 Giorgio Moroder - From here to eternity
Dass der Südtiroler mit dem fiesen Schnauzbart in den 80ern für so manche Schreckenstat verantwortlich zeichnete, ist bekannt. Dass er mehr oder weniger im Alleingang den Electro-Disco-Sound erfand, ebenso. Neben seinen Arbeiten mit Donna Summer ist besonders sein Debütalbum "From here to eternity" empfehlenswert, wenn man herausfinden möchte, wie der Discofunk der 70er elektrifiziert wurde. Der stylish daherhoppelnde Titelsong des Albums ist penetrant fröhlich, aber auch verflucht eingängig. Möge er in Ewigkeit schwofen.

88 Suicide - Ghost rider
"Ghost rider motorcycle hero" singt der Mann, während rechts und links die Maschinen kaputtgehen. Ist das jetzt Kunst oder Nonsens? Oder gar beides?  Ende der 70er war nur eines sicher: Suicide waren kontrovers. Legenden von Krawallen und Ausschreitungen bei Suicide-Konzerten bildeten sich rasch nach der Gründung des Duos, das mit seinem Debüt dem Punk einen neuen Anstrich verpasst hatte. Minimalistisch und unkonventionell gingen Alan Vega und Martin Rev zu Werke, als sie den Rock'n'Roll in seine Einzelteile zerlegten und ihn auf einen scheppernden Motorblock reduzierten.

87 Phish - Guyute
Heiliger Strothotte, ist das irre. Phish, ihres Zeichens die liebenswertesten Frickler seit Robert Fripp, besingen in "Guyute" ein Schwein. Das Schwein dreht jedoch gründlich am Rad, sodass nach anfänglichem Wohlbefinden sich rasch der Wahnsinn im Sauenhirn breitmacht. Das Trio kombiniert chromatische Solo-Eskapaden mit frei zwischen den Taktarten springenden Breaks zu einer Sülze, die von der ersten bis zur letzten Sekunde wohlschmeckend ist. Das Lied eignet sich übrigens auch hervorragend zur Beschallung von Kindergeburtstagen.

86 Bob Dylan - Just like a woman
Ich setze mich wohl in die Nesseln, wenn ich sage, dass ich den Bob eigentlich gar nicht leiden kann. Natürlich ist er eine Legende, und natürlich gibt es an seinen Verdiensten nichts zu rütteln. Meiner Meinung nach waren die Songs zu den größtenteils fantastischen Texten viel zu häufig aber banal. Dass es nun ausgerechnet ein Liebeslied mein Dylan-Favorit ist, sagt aber wenig aus. "Hurricane" mag ich beispielsweise ebenso gerne. Der Grund: Hier finden Musik und Text wirklich zusammen.

85 Soap&Skin - Wonder
Puristen werden nun mindestens die Stirn runzeln. So ein neuer Song in einer Lieblingslieder-Liste? Muss da nicht erstmal Zeit vergehen, ehe ein Stück Heldenstatus für sich beanspruchen kann? Natürlich nicht - und wer etwas anderes behauptet, möge weiterhin den Rolling Stone lesen und seine Springsteen-Platten abstauben. "Wonder" von der österreichischen Sängerin und Pianistin Anja Plaschg, die unter dem Pseudonym Soap&Skin Platten veröffentlicht, ist ein trauriges kleines Lied über Verlust und Lebensnot. Nur ein paar Wischer auf den Tasten und ein zurückhaltender Chor genügen, um eine ganz besondere Gefühlsmelange aus Schmerz und Trotz einzufangen.

84 Melissa auf der Maur. feat. Glenn Danzig - Father's grave
Glenn Danzig ist ein verdienstreicher Mann. Vor allem mit den Misfits sicherte er sich einen Platz im Herzen all jener, denen die Urform des Punk immer zu öde gewesen war. Als Solokünstler verbrachte er seine Zeit jedoch meistens im Schatten früherer Großtaten. Dass er (und seine Stimme) trotz fortgeschrittenen Alters nichts von ihrem Glanz eingebüßt haben, zeigt "Father's grave", ein mitreißendes Duett mit Melissa auf der Maur, die manche vielleicht noch von ihren Jobs bei Hole und den Smashing Pumpkins kennen. "Father's grave" beginnt folkig, entpuppt sich jedoch schnell als wahre Hymne, die leider nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die sie eigentlich verdient gehabt hätte.

83 Oceansize - Ornament / The last wrongs
Falls ihr mal nen schlechten Tag hinter euch haben solltet und auch das Wetter allen Hoffnungen auf gute Laune den Garaus gemacht hat, sei euch hiermit der Song "Ornament / The last wrongs" der britischen Post-Rock-Combo Oceansize ans Herz gelegt. Nach einigen balladesken Anfangsminuten explodiert der Track zu einer akustischen Supernova, die in Sachen Opulenz und Ohrwurmcharakter kaum Konkurrenz besitzt. Nein, das ist nicht übertrieben.

82 Michael Jackson - Billie Jean
Dieses verdammte Bassriff. Da können die späteren Untaten Jackos noch so grauenhaft sein, allein für dieses Bassriff gebührt dem "King of pop" ein Platz in der ewigen Ruhmeshalle. Und dann der Groove: Unnachahmlich, furztrocken, virtuos. "Billie Jean" kommt der Perfektion gefährlich nahe. Eine Tatsache, an der sich Michael Jackson für den Rest seines Lebens verzweifelt abzuarbeiten hatte. Wer solche Höhen erreicht hat, kann nur tief fallen.

81 Arcade Fire - Half light II (No celebration)
Eigentlich ging der ganze Arcade-Fire-Hype recht spurlos an mir vorüber. Während andernorts die Superlative wie wild herumflogen, fand ich die meisten Alben der Band zwar gelungen, aber eben nicht absolut herausragend. "Half light II (No celebration)" von "The suburbs" ist indessen einer der besten Songs der Gruppe. Auf Basis eines rastlos pluckernden Sechzehntelsynthies wird euphorisiert, dass die Schwarte kracht. Ein Stimmungsaufheller par excellence.

Mittwoch, 21. Mai 2014

100 Songs (100 - 91)

Die Sache mit meinen 100 Lieblingsalben geht derzeit ja leider nicht so wirklich voran. Irgendwann werden aber sicher noch die ausstehenden Artikel zu meinen liebsten Alben erscheinen. Bis dahin kann man sich die Zeit aber auch hervorragend mit anderen Listereien vertreiben. Wie einige von euch wissen, schreibe ich seit ungefähr einem halben Jahr auch für plattentests.de Rezensionen. Dort läuft gerade im Forum eine Aktion, in welcher die User ihre Lieblingslieder zusammentragen. Am Ende soll dann eine mehr oder weniger repräsentative Gesamtliste der Favoriten der plattentests-Leserschaft aus den Einzellisten kompiliert werden. Als alter Listenfreak mache ich da natürlich auch mit, und habe in den letzten Wochen versucht, die 100 Songs zu finden, die mir am meisten bedeuten. 

Eine Rangfolge ist bei Songs noch weit schwieriger (und auch sinnloser) als bei Alben, da einzelne Lieder noch viel stärker von Stimmungen und Erinnerungen abhängen. In den nächsten Wochen werde ich euch daher die Tracks in handlichen Paketen von 10 Einzelstücken präsentieren, wobei das einzige Sortierungskriterium die persönliche Bedeutung darstellt. Große Romane werde ich nicht schreiben, ich werde mich lediglich auf einige knappe Sätze beschränken. Ihr findet die komplette Liste auf einer speziellen Unterseite.

100 RMB - Spring
Als Junge fuhr ich voll auf den hämmernden Technosound, der Mitte der 90er populär war, ab. Natürlich kannte ich nur die "Kommerzkacke", aber auch unter den zahllosen Stumpf-Tracks gab es einige Ausreißer, die man heute noch einigermaßen hören kann. "Spring" von RMB fasst in etwas mehr als drei Minuten die wichtigsten Bestandteile damaliger Pop-Hardcore-Tracks zusammen: Hohes Tempo, verzerrte Bassdrum, ein eingängiges Hauptmotiv, Gesangssamples und einen boxensprengenden Buildup, auf den der euphorische Höhepunkt des Stückes folgt. Funktionsmusik, die Spaß macht.

99 Röyksopp - Alpha male
Auch gut 10 Jahre nach meinen ersten Kontakten mit der elektronischen Musik hatte sie wenig von ihrem Reiz auf mich eingebüßt. Zwar sind Röyksopp keine großen Innovatoren, Mitte des letzten Jahrzehnts befanden sich die Norweger allerdings in einer kreativen Hochzeit. "Alpha male" zitiert "Autobahn" von  Kraftwerk und überträgt die Oktaven-Basslinien in einen glitzernden Disco-Kontext samt furiosem Finale.

98 Trio - Herz ist Trumpf
Trio ist eine der besten Bands, die es jemals in Deutschland gab. Warum? Weil sie den urdeutschen Schlager dekonstruierten und verkindlichten, und so die ganze Perfidie der teutonischen Berieselungsmaschinerie offenlegten. "Herz ist Trumpf" mag weniger bekannt als das unzerstörbare "Da da da" sein, es ist mindestens ebenso primitiv genial wie der Überhit. Zudem stellt es eine der wichtigsten Fragen des Lebens: "Was dann, was dann?"

97 Glados - Still alive
Moment mal, ein Song aus einem Videospiel? Ja, warum denn nicht? "Still alive" erklang im Abspann des fantastischen 3D-Puzzle-Spiels "Portal" der Firma Valve und rundete das ohnehin tolle Spielerlebnis mit einem einzigartigen Schlussakkord ab. Die verrückt gewordene KI Glados, die man im Spiel besiegt hat, singt zum Abschied ein Ständchen, das vor Selbstironie nur so trieft. "We do what we must, because we can / For the good of all of us, except the ones who are dead." Herrlich.

96 Die Ärzte - Der Graf
Auf die Frage "Bela, Farin, Rod?" lautete meine Antwort stets "Bela". Zwar zeichnete Herr Urlaub für die größeren Gassenhauer verantwortlich, meine persönlichen Lieblingslieder des Berliner Trios waren aber stets vom Schlagzeu-g-e-r der Band. "Der Graf" stammt von dem immens erfolgreichen Album "13" (das mit "Ein Schwein namens Männer") und erzählte die traurige Geschichte des Grafen Dracula, der sich in der Moderne nicht mehr zurechtfindet und schließlich den Tod durch Sonnenbestrahlung sucht.Ja, damals starben Vampire noch in der Sonne. Nix mit Glitzern.

95 The Horrors - Sea within a sea
Der Schlusstrack des tollen Albums "Primary Colours" vereint die wichtigsten Elemente der Musik der Horrors in umwerfender Weise: Viel Hall, mäandernde Synthies und manische Achtelgitarren finden zusammen und weisen den Weg von der Tristesse ins gleißende Licht eines neuen Tages. Bei der Sendung mit der Maus würde die nette Stimme jetzt sagen: "Das war...pathetisch!"

94 The Libertines - What Katie did
Ach ja, die Libertines. Wohl eine der Bands, die meine Generation am nachhaltigsten geprägt hat. Anfang der 2000er-Jahre grassierte ja das große Garagenrock-Revival, in dessen Verlauf eine Vielzahl von Gitarrenbands populär wurde. The Libertines waren hierbei so etwas wie die zeitgenössische Drogenversion von The Clash. Ziemlich kaputt, aber auch ziemlich mitreißend. Dass es diese Band überhaupt auf zwei reguläre Alben gebracht hat, mutet aus heutiger Sicht wie ein Wunder an.

93 Isis - Weight
Es muss um 2006 herum gewesen sein, als ich den Postrock für mich entdeckte. Damals las ich noch eifrig das Musikmagazin VISIONS, und wurde durch das auf einer Heft-CD enthaltene "Weight" auf die Postrock-, bzw. Postmetalband Isis aufmerksam. "Weight" ist ein genretypisches Crescendo, wobei besonders die leicht verstimmten Gitarren und die bombastische Snaredrum den Song aus dem Brei der "Lass mal immer das gleiche spielen und langsam lauter werden"-Stücke herausheben. Muss man laut hören. Sehr laut.

92 Die Fantastischen Vier - Michi gegen die Gesellschaft
Wenn es einen HipHop-Track gibt, den ich auswendig runterbeten kann, dann "Michi gegen die Gesellschaft". Allein die ersten Zeilen haben sich für immer eingebrannt: "Iiiiich schneide eine Schneise durch die Scheiße / Entscheide auf der Reise wie ich heiße / Entgleise stelienweise, aber weise / Verweise hier im Kreis auf die Beweise". Und so weiter. Der Song handelt vom freizeitlichen Kiffen und den damit verbundenen Problemen des Herrn Beck mit der ausführenden Gewalt, welche schließlich zur Hinrichtung des Gesetzesbrechers führen. "Switch", bzzt bzzt bzzt.

91 Elton John - Rocket man
Elton John war mal verdammt gut. Eine Tatsache, die man angesichts der eher nicht so prächtigen Werke seiner späteren Jahre häufig vergisst. Am Anfang seiner Karriere war der kleine große Engländer aber schlicht genial. Sowohl stimmlich als auch kompositorisch. "Rocket man" ist wohl mein Lieblingslied des mittlerweile zum Sir ernannten Songwriters. Ein meisterlicher Popsong mit einem Refrain für die Ewigkeit.

Mittwoch, 7. Mai 2014

Schnellcheck #4: Khan of Metal

The Horrors - Luminous (7/10)
Post-Wave, Indie

Schon auf dem letzten Album "Skying" zeigten The Horrors erste Tendenzen zur Stagnation. Zwar waren die hymnischen, synthiegetriebenen Songs stets eingängig geraten, so richtig zwingend wie zu früheren Tagen agierten die Briten jedoch nicht mehr. Mit ihrem vierten Album "Luminous" machen sie da weiter, wo sie aufgehört haben, nämlich mit in Hall und Rausch gebadeten Wave-Gitarren, entrückten Gesangslinien und teils herrlich psychedelischen Abfahrten. Die Songs auf "Luminous" sind indessen wieder ein Stück weit kohärenter als auf dem Vorgänger, was das Album trotz seiner stellenweise etwas überbordenden Produktion zu einem Hörgenuss macht.


HTRK - Psychic 9-5 club (7/10)
Electronica 

HTRK (sprich: "Hate rock") ist ein amerikanisches Duo, das sich der minimalistischen elektronischen Musik verschrieben hat. Heißt: Karge Beats, atmosphärische Soundfragmente und verhuscht-gehauchter Nicht-Gesang. Sicherlich keine Platte, die zum Tanzen und Springen einlädt, sondern eher Musik für den Morgen nach dem Exzess. Dämmrig geht es zu, und Frohnaturen werden Jonnine Standish und Nigel Yang wohl nicht mehr werden. Ein Händchen für stimmungsvolle Miniaturen haben sie aber.


Johnny Cash - Out among the stars (6/10)
Country 

"Out among the stars" ist ein Album, das Johnny Cash anfangs der der 80er-Jahre aufgenommen hat. Da seine damalige Plattenfirma sich aber wenig begeistert zeigte, verschwanden die Songs im Archiv. Cashs Sohn war es, der die Lieder ausbuddelte und ihnen einen modernen Anstrich verpasste, ohne dabei allzu verfälschend in den Sound einzugreifen. Wer also auf eine wirkliche Überraschung gehofft hat, dürfte doch ein wenig enttäuscht sein. Cashs Songwriting war zu jener Zeit in Formalismen erstarrt, neben den obligatorischen Country-Schunkelnummern befinden sich auch einige ziemlich seifige Trucker-Schnulzen auf "Out among the stars". So richtig schlecht ist das alte neue Cash-Album aber auch nicht, besonders das schwelgerische "She used to love me a lot" und das tolle, mit June Carter eingesungene Duett "Baby ride easy" mildern die Umstände.


Kishi Bashi - Lighght (7/10)
Pop

Der Japaner Kaoru Ishibashi kann ziemlich gut Geige spielen. Da das Fiedeln in zweiter Reihe auf Dauer aber doch recht fad ist, versucht er sich schon seit einigen Jahren als Songwriter und Sänger. Dass die Violine im Zentrum seiner Lieder steht, ist zunächst wenig überraschend. Was der Herr aus den vier Saiten zaubert, allerdings schon. Ob mit Effekten beladen oder mit filigranem Pizzicato-Spiel - Ishibashi hat den Dreh raus. Verpackt sind seine virtuosen Kapriolen in beschwingten Popsongs, die immens von der wandlungsfähigen Stimme ihres Schöpfers profitieren. Eine Platte wie der Frühling: Wechselhaft, aber mit Aussicht auf Wärme, Sonne und Zufriedenheit.


Tengger Calvalry - Ancient call (4/10)
Dschingis Metal 
Und jetzt wirds so richtig merkwürdig. Metal kennt ihr ja sicher. China auch. Was passiert, wenn man traditionelle chinesische, bzw. teils mongolische Volksmusik mit Speedmetal kombiniert, könnt ihr euch allerdings wahrscheinlich weniger vorstellen. Verrückt klingt die Mischung aus dudeligem Nomadengejodel und galoppierenden Hochgeschwindigkeitsriffs allemal. Leider nutzt sich der Spaß nach anfänglicher Begeisterung recht schnell ab, da viele Songs letzten Endes eben doch nur genretypisches Geschredder sind. Dass die Band bis dato noch nicht den Titel "Khan of Metal" für sich beansprucht hat, muss ihr aber durchaus vorgeworfen werden. Frei wäre der Thron ja sicherlich.

Samstag, 26. April 2014

Ist das peinlich... (Part 2)

Meine Musiksammlung umfasst insgesamt ca. 2000 Alben, wobei ich ca. ein Drittel davon auf altmodischen Tonträgern besitze. Nachdem im ersten Teil dieser Selbstentblößung Dachbodenfunde und "echter" Trash das Thema waren, soll es heute um typische Fehlkäufe gehen. Wohl jeder hat schon einmal mit großen Erwartungen eine Platte erstanden, um dann zu Hause ernüchtert festzustellen, dass das irgendwie doch nicht so toll wie erhofft klingt. Andere CDs dieser Kategorie bestehen den "test of time" nicht und geraten nach anfänglicher Begeisterung rasch in Vergessenheit. Wegwerfen kommt natürlich trotzdem nicht in Frage, weswegen besagte Alben dann langsam dem Altenteil entgegenverstauben dürfen.

Fatboy Slim - You've come a long way baby (1998)

1998 war Fatboy Slim DER heiße Scheiß. Egal ob in Videospielen, im Musikfernsehen oder im Kaufhaus: Der dicke dünne Junge mit seinen großen Beats war überall. Unvergessen sind Klassiker wie "Rockafella skank" oder "Praise you", welche eingängige Samples mit wuchtigen Drumpatterns und zeitgemäßen Stotter-Effekten kombinierten. Das Album zum Hype verkaufte sich richtig gut, auch wenn ein Großteil der darauf vertretenen Tracks nicht ganz mit den großen Singlehits Schritt halten konnte. Auch ich war der Versuchung erlegen, und hatte mir vom Taschengeld dieses Album abgeknapst. Stücke wie "Right here, right now" lösten anfangs echte Begeisterung in mir aus, es sollte jedoch nicht sehr lange dauern, ehe Ernüchterung eintrat. Die Musik des Fatboy Slim war - ganz ähnlich übrigens wie die von Moby - perfekt für kurze Jingles und Einspieler geeignet. Für eine Existenz als lebensbegleitende Beschallungsoption fehlte ihr jedoch die Tiefe.

Sabrina Setlur - Die neue S-Klasse (1997)

Noch so eine aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbare Jugendsünde. 1997 war das Jahr der Sabrina Setlur, welche sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr Schwester S nennen wollte, und mit Songs wie "Du liebst mich nicht" und "Freisein" die Charts eroberte. Produziert wurde die ganze Chose von niemand geringerem als Moses "Malaka" Pelham, dessen Label 3P seinerzeit als Nährboden für noch viel größere Übel fungierte. (Moses ist an Xavier schuld. Möge er dafür ewig in der Hölle schmoren.) Setlurs zweites Album klang genauso wie alle anderen Pelham-Power-Productions: Tiefe und voluminöse Bässe, schneidene Snaredrums, ein leicht molliger Teppich aus Streichern und anderem Georgel. Nun war Frau Setlur zwar sicherlich keine gänzlich talentfreie Rapperin, wirklich etwas zu sagen hatte sie jedoch nur selten. Der wohl stärkste Song auf "Die neue S-Klasse" war das düstere "Machsoweita", in welchem Setlur das Thema Gewalt gegen Frauen auf berührende Weise anging. Der Rest der Platte bot typische "Ich > du"-Kost, wobei man der Ex-Schwester das Gehabe nie so recht abkaufen konnte. 

Guildo Horn - Danke! (1998)

Okay, das hier hätte eigentlich besser in den ersten Teil dieser Serie gepasst. Wie die meisten Teenager war auch ich extrem empfänglich für Hypes und Modeerscheinungen, weshalb ich auch von der 1998 grassierenden Begeisterung für den "Meister" mit der nur zur Hälfte wallenden Haarpracht angesteckt worden war. Über Stefan Raabs Evergreen "Guildo hat euch lieb" muss ja nicht mehr so viel erzählt werden, dieses Lied ist auf immer und ewig Sinnbild für das letzte Röcheln der Ende der Neunziger vor sich hinsterbenden Spaßgesellschaft. Horn bot auf "Danke!" ein Potpourri aus neuarrangierten Schlagerklassikern und mehr oder minder erträglichen Eigenkompositionen, wobei die Gassenhauer in der Mehrheit waren. Und so sang er "Wunder gibt es immer wieder", "Aber bitte mit Sahne" und "Baby, du bist nicht alleine", und ich hörte mir das allen Ernstes mit Begeisterung an. Asche auf mein Haupt. Glücklicherweise erfolgte schon wenige Monate nach meiner Verirrung die große Bekehrung zur "richtigen" Musik durch "Songs of faith and devotion", aber diese Geschichte gehört hier nicht hin.

HIM - Razorblade romance (1999)

Achtung, Kalauer: Wo eine Wille ist, ist auch ein Valo. Kellertür auf, Treppe runter, Lachschaden. Andere Herangehensweise, Promostyle: Die romantischen finnischen Goth-Rocker um den charismatischen Frontmann Ville Valo sind zurück. Im Gepäck haben sie nicht nur ihren Smash-Hit "Join me (in death)", sondern ein ganzes Album voller düsterer Herzensbrecher und treibender Rocksongs. Schwermetallische Gitarrenarbeit trifft auf Valos unverwechselbaren Bariton, Herz reimt sich auf Schmerz. HIM machen keine Gefangenen, denn sie sind hier, um die Welt im Sturm zu erobern. Zitat: "Ich glaub ich muss kotzen.", Zitat Ende. Ich weiß noch genau, warum ich mir "Razorblade romance" - das Album zum Smash-Hit - gekauft habe: Im VIVA-Videotext wurde das Album als das neue "Nevermind" gepriesen. Jung und doof wie ich war, glaubte ich das. Obwohl ich eigentlich "In utero" viel lieber als "Nevermind" mochte. Und obwohl ich doch "Join me" kannte, und hätte wissen müssen, dass die bei VIVA ganz schlimme Lüger waren. Hätte ich doch lieber Aquas "Aquarium" kaufen sollen. (was ich übrigens 2006 auf einem Flohmarkt getan habe...)

Papa Roach - Infest (2001)

"Cut my life into pieces, this is my last resort!" Auftritt: Iron-Maiden-Riff, gefolgt von einem total emotionalen Rap von niemand anderem als Coby Dick, dem Peniswitz unter den Rocksängern. Als Teenager ist man ja emotional meist recht instabil unterwegs, was eine Erklärung für die große Popularität von aggressivem Genöle bei adoleszenten Menschen (v.a. bei Jungs) sein könnte. Die Welt ist böse, Schule ist doof und die Eltern sowieso, weil man am Wochenende nicht auf die Party gehen darf. Logische Trotzreaktion: Laute Musik, möglichst auf Englisch, damit sich zum Nicht-Einverstanden-Sein mit dem Leben ein Nicht-Verstehen der Texte gesellt. Texte sind ohnehin nur insofern wichtig, als dass sie möglichst pointiert mitteilen sollen, dass alles Mist ist. Womit wir wieder bei Papa Roach wären: "I can't go on living this way" schreit Coby Dick am Ende von "Last resort". Kann man mal machen. Ebenso einprägsam dann auch der Rest der Kakerlakenkacke: "Broken home", "Revenge", "Binge". Songtitel, die ausdrücken, wie wenig Dick und Kollegen eigentlich zu sagen hatten. Nur gut, dass ich sie damals nur teilweise verstanden habe.

Marusha - Snow in july (2002)

Es muss einfach mal gesagt werden: Marusha ist eine tumbe Nuss. Beweismaterial geistert genügend im Netz herum. Ob es nun Interviews über Angela Merkel oder esoterische Monologe über das total spacige Leben in den Neunzigern sind: Marusha leidet an einer gefährlichen Hirnzellenunterversorgung. Berühmt geworden ist die Frau damals mit einer bumsfidelen Coverversion des unkaputtbaren "Somewhere over the rainbow". Und einige ihrer Tracks (allen voran "Deep" und "U R life") kann man sich sogar heute noch bei akutem Verlangen nach Nostalgie anhören. Warum ich allerdings "Snow in july", ein reichlich uninspiriertes Geseier über einem reichlich uninspirierten Beat, besitze, weiß ich beim besten Willen nicht. Vielleicht fand ich damals ja Marusha noch ernsthaft gut. Die Möglichkeit besteht - gab es doch einmal eine Phase, in der ich eine unerklärliche Schwäche für 90er-Techno und ähnliche Undinge hatte. Wobei Marusha sich zu gutem Techno so verhält wie Rindfleisch zu einem vegetarischen Quiche.