Sonntag, 22. Juni 2014

100 Songs (70 - 61)

Eigentlich müsste ich ja an meiner Abschlussarbeit werkeln. Aber ihr wisst, wie das läuft.

70 Red Hot Chili Peppers - Road trippin'

Ich habe lange überlegt, welchen Song der Peppers ich repräsentativ in meine Liste packen sollte. Neben offensichtlichen Kandidaten wie "Under the bridge" stand z.B. auch das rockige "Parallel universe" in der engeren Auswahl. Geschafft hat es letzten Endes "Road trippin'", ein simpler Akustiksong mit herrlichem Gitarren- und Bassspiel von Frusciante und Flea. Zudem ist "Road trippin'" eine der wenigen RHCP-Nummern, die textlich über das ermüdende Kiedis-Dreieck aus Esoterik, Sex und esoterischem Sex hinausgehen. Richtig greifbar wird die schlichte, aber schöne Grundaussage des Liedes übrigens durch den hervorragenden Videoclip, in welchem Kiedis, Flea und Frusciante gemeinsam ums Lagerfeuer sitzen und die Flammen anschmachten. Zeitlos!

69 Prince - Sign 'o' the the times
(kein brauchbares Video auffindbar)
Prince ist im Gegensatz zu seinem ewigen Widersacher Michael Jackson noch am Leben. Und anders als "Wacko Jacko" gelang es dem Funk-Genie aus Minnesota auch, halbwegs in Würde zu altern, wenngleich seine neuen Alben ziemlich mittelprächtige Angelegenheiten waren. Mitte der Achtziger war Prince teilweise sogar populärer als Jackson, was neben seinem extravaganten Auftreten tatsächlich auf seine hervorragende Musik zurückzuführen war. "Sign 'o" the times" ist der Titeltrack des gleichnamigen Doppelalbums, und basiert auf einem staubtrockenen Groove, der durch minimalistische Gitarrenlicks bewässert wird. Eine unglaublich zynische Nummer, der es hervorragend gelingt, den Zeitgeist der Reagan-Ära einzufangen.

68 Pulp - Common people

"Common People" ist ein perfekter Song. Jede Zeile sitzt, jede der nach und nach hinzukommenden Spuren verstärkt den Strudel, in den Jarvis Cocker und Band geraten sind. Es geht bergab, und zwar schnell. Der Sänger berichtet von einer Begegnung mit einer Kunststudentin, die endlich einmal so leben möchte, wie es die "normalen Leute" tun, und sich hierzu Cocker als Versuchskaninchen auserkoren hat. Schnell wird klar, dass Wunsch und Wirklichkeit unvereinbar sind. Der Stumpfsinn, die Existenzangst, der trotzige Hedonismus jener Durchschnittsmenschen bleibt dem neugierigen Gör aus besserem Hause verschlossen. Cocker höhnt: "You'll never watch your life slide out of view / And dance and drink and screw / Because there's nothing else to do". Doch ist Jarvis Cocker als Popsänger nicht selbst ein Schnösel, der sich zum Sprachrohr der Vergessenen erklärt? Und: Macht er das überhaupt? Ist es nicht sogar so, dass Pulp uns Hörern hier einen riesengroßen Bären aufbinden? Wie auch immer man "Common people" interpretiert: Dass ein Song mit so eindeutigen Zeilen wie "Because you think that poor is cool" dennoch so offen angelegt ist, macht ihn zum Meisterwerk. Es gibt übrigens eine ganz und gar großartige Coverversion des Songs von William Shatner, die dem alten Grantler von Ben Folds auf den Leib arrangiert wurde.

67 John Frusciante - Remain

Frusciante als Solokünstler ist eine schwierige Sache. Da gibt es seine wirren Frühwerke, die zwar beeindruckende Dokumente eines Künstlers am Abgrund darstellen, aber nur extrem selten hörbar sind. Dann sind da noch seine Anfang des letzten Jahrzehnts im Rekordtempo veröffentlichten Alben, von denen keines wirklich schlecht, aber auch keines absolut herausragend ist. Darüber hinaus existiert noch sein "Spätwerk", in welchem er viel versucht, aber auch oft über das Ziel hinaus schießt. Und schließlich, ja schließlich ist da noch "To record only water for ten days". Jenes Low-Fi-Wunderwerk, das kurz nach der erfolgreichen Wiederherstellung Frusciantes aufgenommen worden war. Das Album ist sperrig, und soundtechnisch teilweise regelrecht anstrengend, es enthält jedoch auch einige der faszinierendsten Kompositionen aus Frusciantes Feder. Der Song "Remain" besteht aus zwei klar voneinander abgegrenzten Teilen: Dem unterkühlten und zurückhaltenden Anfang, und dem orgiastischen Finale, in welchem John wieder einmal mit nur wenigen Solo-Tönen mehr aussagt als John Petrucci auf einem ganzen Album. 

66 PJ Harvey - All and everyone

Bei "All and everyone" bekomme ich auch über zwei Jahre nach Erstkontakt immer noch Gänsehaut. Der Wechsel zwischen den elfenhaft hoch gesungenen Parts und der treibend-klagenden Bridge ist verdammt ausgefuchst. PJ Harvey hat sich ohnehin im Laufe ihrer mittlerweile über 20 Jahre währenden Karriere erstaunlich gewandelt. Aus der wütenden jungen Frau der "Rid of me"-Tage ist heute eine Songwriterin geworden, die von Album zu Album ihrem Sound neue Facetten hinzufügt und ein erstaunliches Gespür für die Zeit, in der wir leben, entwickelt hat.

65 Snoop Dogg - Vapors

Heute ist Snoopy D-O-Double-G so etwas wie der Hofnarr des HipHop. Dauerbekifft (oder zumindest dauerbekifft wirkend) irrlichtert Calvin Broadus durch diverse TV- und Web-Formate, während er in regelmäßigen Abständen relativ verzichtbare neue Alben veröffentlicht. Lustig ist der Typ ohne Zweifel, und vielleicht verbirgt sich hinter der Sonnenbrille sogar ein weiser Schelm, der genau weiß, was er da tut. Hört man sich Snoops Alben der goldenen G-Funk-Era an, wirken sie wie Botschaften aus einem anderen Universum. Der Clown der Gegenwart war Mitte der Neunziger tatsächlich ein echter Styler, wobei er im Gegensatz zu anderen Gangster-Rappern schon damals viele Tracks mit einem Augenzwinkern versah. "Vapors" von Snoops Zweitling "Tha Doggfather" besitzt einen Beat, der derart cool ist, dass man mit ihm wahrscheinlich die globale Erwärmung stoppen könnte. Okay, das war jetzt ein übertriebener und unkreativer Vergleich. Zweiter Versuch: "Vapors" ist so laid back wie ein zurückgeklappter Sitz in einem Cadillac bei bestem Wetter. Ach, was solls: Ich liebe "Vapors"!

64 Falco - Ganz Wien

Der Hölzel Hansi alias Falco hätte so etwas wie der österreichische Bowie werden können, wenn er denn den Mut gehabt hätte, den auf seinen ersten beiden Alben eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Stattdessen kamen "Rock me Amadeus" und "Jeanny", zwei formidable Hits, die jedoch im Vergleich zu Falcos Anfängen wie kindische Schlager klangen. Besonders auf seinem Debüt "Einzelhaft" spielte Falco meisterhaft mit den damals aktuellen Trends und Sounds der Popmusik, und verlieh ihnen jene unnachahmliche Note aus Arroganz und Schmäh, die ihn berühmt machen sollte. "Ganz Wien" ist eine relativ alte Nummer, die noch aus Falcos Drahdiwaberl-Zeiten stammt. Das Lied erzählt vom schönen Schein des Wach-Seins im damals ganzjährig schneebedeckten Wien. Dass der Rausch nicht von Dauer sein konnte, war allen Beteiligten sicherlich klar. Aber wen interessiert die Dauer, wenn ihm die Gegenwart gehört?

63 Amplifier - Interstellar

Gute Gitarrenriffs sind rar. Es ist aber auch verdammt schwierig, dem Sechssaiter nach über 50 Jahren Rockgeschichte noch irgendetwas zu entlocken, das nicht schon so oder so ähnlich zu hören gewesen war. Darüber hinaus befindet sich die Rockmusik ohnehin in einem Dornröschenschlaf, außerhalb der in engen musikalischen Korsetten operierenden Genremusik gibt es derzeit kaum noch Impulse, die den Schlaf beenden könnten. Die letzte spannendere konventionelle Rockband waren meiner Meinung nach Amplifier. Das britische Quartett, das lange Zeit als Trio unterwegs gewesen war, hauchte dem guten alten Space-Rock neues Leben ein, indem es sich auf das Wesentliche beschränkte: Dicke Riffs, verrückte Sounds, Songs in Überlänge. "Interstellar" stammt vom Amplifier-Mammutwerk "The Octopus", einem über zwei Stunden langen Bombast-Monstrum. Und "Interstellar" besitzt ein prägnantes Gitarrenriff. Clever synkopiert walzt es zehn Minuten lang vor sich hin, ehe in einem furiosen Schlussteil die Hütte eingerissen wird. Der Song endet mit einer tiefen Verbeugung vor den Erfindern des Genres. "And I know / That you set the control / For the heart of the sun". Aber über Pink Floyd wird noch an anderer Stelle zu sprechen sein.

62 Deep Purple - Highway star

In der Schulzeit war ein Freund von mir fanatischer Deep-Purple-Fan. Er besaß jedes Album, konnte nahezu jeden Song auswendig und schreckte auch nicht davor zurück, am Morgen nach einer Party die noch leicht verkaterten Über-Nacht-Gebliebenen mit dem Debüt der britischen Hardrock-Pioniere zu beschallen. Zu den Favoriten meines Freundes gehörte natürlich auch das legendäre Japan-Livealbum, das auch die ultimative Version von "Highway star" enthält. Wie eine Dampflok brettert die Band von Riff zu Riff, um am Ende kommt Ritchie Blackmore fast nicht mehr hinterher. Ian Gillan singt unterdessen wie ein junger Gott, während Jon Lord seiner Orgel ebenso merkwürdige wie coole Geräusche entlockt. Für mich, der mit solcher Musik eigentlich wenig anfangen konnte, war "Highway star" schon immer so etwas wie die perfekte Ausnahme von der Regel. Hier greifen die einzelnen Zahnräder tatsächlich perfekt ineinander, kein Ton ist überflüssig. Und auch die Virtuosität der Beteiligten ist mehr als bloßes Mittel zum Zweck.

61 Depeche Mode - The bottom line

Mit diesem Song habe ich Singen gelernt. Ich erinnere mich noch gut, dass ich 2001, als ich gerade in meine erste Band eingestiegen war, täglich versuchte, meine damals noch ziemlich dünne Stimme zu trainieren. Gerade die tieferen Regionen bereiteten mir - der Stimmbruch war noch nicht lange her - noch große Probleme. Das Übungsmaterial meiner Wahl war damals "The bottom line" von Depeche Mode. Die Ballade, gesungen von Martin L. Gore, befindet sich auf dem 97er-Meisterwerk "Ultra" und zählt zu den unscheinbarsten Gore-Kompositionen, was jedoch nicht ihre Intimität und Intensität schmälert. "Like a cat dragged in from the rain / Who goes straight back out / To do it all over again / I'll be back for more." Geht es um Liebe? Um Sucht? Um Beides? Loslassen ist auf jeden Fall unmöglich. Der Song endet mit Schlussversen, die sich mir auf ewig eingebrannt haben: "The sun will shine / The bottom line / I follow you". Zehn Wörter, die so viel mehr sagen.

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