Donnerstag, 16. Mai 2013

Mike Oldfield, oder: 40 Jahre Niedergang (Teil 3)

Die ersten beiden Teile dieser Serie berichteten euch vom Aufstieg und tiefen Fall des englischen Multiinstrumentalisten Mike Oldfield, dieser dritte Teil wird nun die Geschichte zu Ende erzählen, indem er Oldfields späte Jahre und dessen Weg in die völlige Irrelevanz nachzuzeichnen versucht.

 

Nachdem der Gitarrenvirtuose sich bereits Ende der Achtziger mit scheußlichen Machwerken wie "Earth Moving" gründlich zum Horst gemacht hatte, gab es wenig Hoffnung auf Besserung. Zu nachhaltig hatte Oldfield sein Ansehen beschädigt, als dass eine Rückkehr zu alten Stärken zu erwarten gewesen wäre. Zu allem Übel gesellte sich zur offenkundigen künstlerischen Krise des Musikers ein Konflikt mit dessen Label Virgin Records - Oldfield war sich wohl bewusst, dass er sich auf seinen letzten Alben weit unter Wert verkauft hatte, seine Plattenfirma drängte jedoch weiter auf kommerziell gut verwertbare Einheitsware (v.a. auf "Tubular Bells II"), wozu Mike allerdings (noch) nicht willig war.

So kam es, dass er im Jahre 1990 das Album "Amarok" aufnahm. "Amarok" ist ein großes "fuck you" an Virgin, da es aus einem einzigen, sechzigminütigem Track besteht, sodass Singleauskopplungen unmöglich waren. Die auf dem Cover abgedruckte "Gesundheitswarnung" ist ein weiteres Indiz dafür, dass Oldfield bewusst provozieren wollte:

„HEALTH WARNING – This record could be hazardous to the health of cloth-eared nincompoops. If you suffer from this condition, consult your Doctor immediately.“

Die Krönung des vertonten Ungehorsams stellte schließlich ein gegen Ende des Stücks versteckter Morsecode dar, der nach Entschlüsselung nichts anderes als "fuck off r b" bedeutet. (r und b stehen für die Initialen von Richard Branson, dem Chef des Virgin-Konzerns)

"Amarok" macht es einem nicht einfach. In schneller Folge werden Motive verschiedenster Couleur aneinandergereiht, die stilistische Bandbreite reicht von rasend schnellen Akustikgitarrenriffs über irische Volksweisen bis hin zu atonalen Lärmpassagen, bei denen u.a. Haushaltsgeräte und Spielzeuge zum Einsatz kommen. Zudem besitzt das Album eine immense Dynamik: Während manche Teile kaum hörbar aus den Boxen dringen, werden die Ohren des Hörers andernorts von schrillen Warntönen und Zischlauten traktiert.

Man muss also erstmal eine Menge Geduld mitbringen, um überhaupt einen Zugang zu diesem Monstrum zu finden. Trotz der offensichtlichen Bemühungen des Musikers, ein möglichst provokantes Stück Musik abzuliefern, sind die meisten Melodien auf "Amarok" aber dennoch äußerst einprägsam - die Hauptschwierigkeit bei der Erschließung der Platte ist die schiere Menge unterschiedlichster Stile, die hier zusammengeworfen werden. Kaum hat man sich mit einer Melodie angefreundet, wird sie von einem neuen Motiv gewaltsam hinweggefegt.

Hat man sich aber durch die ersten fünfundvierzig Minuten gekämpft, wird man mit einem der famostesten Enden aller Zeiten belohnt. Die lapidar mit "Africa I", "Africa II" und "Africa III" betitelten Schlussteile erinnern in Rhythmik und Melodieführung stark an "Ommadawn" - Oldfield deutete in einigen Interviews an, sich bewusst an seinem wohl besten Werk orientiert zu haben. Die Basis für "Africa" bildet ein monotoner Trommelrhythmus, in mehreren Wellenbewegungen wird das Hauptmotiv des Albums variiert und unterschiedlichen Auflösungen zugeführt. Zu Beginn des letzten Abschnitts des Finales erklingt eine an Margaret Thatcher angelehnte Frauenstimme, die folgendes verkündet:

"Hello everyone. I suppose you think that nothing much is happening at the moment. Ah-ha-ha-ha-ha. Well, that's what I want to talk to you all about; endings. Now, endings normally happen at the end. But as we all know, endings are just beginnings. You know, once these things really get started, it's jolly hard to stop them again..."

Die falsche Thatcher ist ein genialer Kunstgriff. Ihre Ansprache stellt den einzigen zusammenhängenden englischen Text des Albums dar, sie schiebt sich genau dann zwischen Hörer und Musik, als letztere endlich in nachvollziehbare Bahnen geraten scheint.

"Sondela uSomandla sukuma wena obengezela"

Und dann endet es, und wie es endet. Minutenlang baut sich ein letztes Mal Spannung auf, ein kaum zu bändigender afrikanischer Chor setzt immer wieder an, die Klimax-Melodie zu singen, ein letztes Mal atmet man auf - und wird dann der puren Euphorie der großen Coda aus den Latschen geblasen. Was in dieser letzten Minute von "Amarok" passiert, ist schwer in Worte zu kleiden. All die Spannung entlädt sich, all die nur unzureichend zu Ende gebrachten Versatzstücke sind vergessen. Wenn mich jemand nach einer Definition von Musik fragen würde, müsste ich ihm oder ihr dieses Finale furioso vorspielen. So klingen Glücksgefühle.

Das Finale

Wie bereits angedeutet, sind nicht alle Passagen auf "Amarok" so perfekt; es gibt Längen (v.a. zwischen der 35- und 40-Minuten-Marke), es gibt merkwürdige Übergänge, und manche Sprünge wollen sich auch nach dem fünfzigsten Hördurchgang nicht recht erschließen. Dennoch entdeckt man bei jedem Hören etwas Neues, sei es eine versteckte Flötenmelodie oder ein kleines Räuspern, das als Einleitung eines neuen Teils fungiert.

Woher Oldfield dieses Album geholt hat, ist ein Rätsel. Es ragt wie ein Monolith aus der ernüchternden Mittelmäßigkeit seines späteren Schaffens heraus. Aus heutiger Sicht wirkt "Amarok" wie ein aus der Zeit gefallenes, letztes Aufbäumen des Genies, das nicht einsehen will, dass seine beste Zeit lang vorbei ist.

Die Musik, die Mike Oldfield nach "Amarok" veröffentlicht hat, ist meist nichtssagend, häufig langweilig und in manchen Fällen schlicht schmerzverursachend. Nachdem Oldfields letztes Album für Virgin ("Heaven's open") ein poppiges Abschiedsgeschenk gewesen war, machte er sich im Jahr 1992 endlich daran, den lang erwarteten zweiten Teil von "Tubular Bells" aufzunehmen.

Und "Tubular Bells II" ist eine Katastrophe. Klinischer Sound, zahnlose Rhythmen, grässliche Chöre, nicht enden wollendes Geklimper. Gewiss mag es viele Fans geben, die vor Glück weinten, als ihre geliebten Röhrenglocken ein weiteres Mal erklangen, mich erfüllt schon der Gedanke an diese Enigma-Gedächtnis-Mucke mit Abscheu. Geld dürfte Oldfield mit "TB 2" allerdings sicher nicht zu wenig verdient haben.

Auch das folgende Album "The songs of distant earth" weiß nicht recht, wo es hinwill. Obwohl es einige hübsche Melodien beinhaltet, ertrinkt es im Ganzen doch in Easy Listening- und Ethno-Schmodder. Das relativ hohe Tempo, in dem Oldfield in den Neunzigern neue Alben auf den Markt warf, mag ein Indiz für seine fortwährende Suche nach neuen Ausdrucksformen sein, vielleicht symbolisiert es aber auch nur die Ratlosigkeit, die von ihm Besitz ergriffen hatte.

"Voyager" aus dem Jahre 1996 hat nichts mit Star Trek zu tun, sondern stellt Mikes persönliche Verbeugung vor den stets seiner Musik innewohnenden irischen Einflüssen dar. Der Großteil der Stücke plätschert relativ harmlos vor sich hin, auch wenn sich hin und wieder recht nette Melodien und Arrangements ausmachen lassen. ("Hero", "Wild goose flaps its wings") Wirklich herausragend ist das das Album beschließende "Mont St Michel", eine dreizehnminütige Orchesterkomposition, die gekonnt folkloristische Melodik in ein opulentes Gewand kleidet. 


Was danach folgte, stellt für mich den eigentlichen Tiefpunkt im Werk Mike Oldfields dar. 1998 erschien "Tubular Bells III", und schon die Tatsache, dass er schon wieder auf sein Trademark-Album zurückgriff, verrät viel. War der zweite Teil noch belangloses Gesummse, springt einem bereits im Intro der dritten Inkarnation der großen Glockenshow ein derart billiger Electrobeat entgegen, dass man meinen möchte, Oldfield hätte das Album mit dem Magix Music Maker produziert. Ein grauenhaft generischer Synthiesound jagt den nächsten, Dramatik und Dynamik sucht man auf "Tubular Bells III" vergeblich. Selbst die lichteren Momente der Platte eignen sich bestenfalls zur Beschallung einer Chill out Area in Lloret del Mar.

Dass er sich erfolgreich in eine Sackgasse manövriert hatte, schien auch dem nun schon sichtlich gealterten Herrn Oldfield aufgefallen zu sein, da er mit dem nur ein Jahr nach "TB3" erschienenen "Guitars" den Versuch unternahm, "zurück zu den Wurzeln" zu gehen. Nett gesagt ist "Guitars" doppelt so gut wie sein Vorgänger - ehrlich gesprochen ist es immer noch ganz schön mies. Ein erschütternd flach produziertes Nichts aus einfallslosen Gitarrenfragmenten und peinlichen Selbstzitaten.

Womit wir endlich im vergangenen Jahrzehnt angelangt wären. Die letzte Dekade des oldfield'schen Oeuvres ist von zwei Dingen geprägt: Überflüssigen Neuauflagen von...naja, ihr werdet es bereits ahnen, "Tubular Bells" und einer nicht nachvollziehbaren Begeisterung für Kaufhausbeschallung. Die Alben "Tr3s Lunas" und "Light + Shade" sind fürchterlich langatmige Einschlafhilfen, deren Genuss nur Menschen empfohlen werden kann, die gerne Heilsteine streicheln und ihre Wohnung nach Stilvorgaben der "Brigitte" einrichten. Die blanke Wut ergreift mich, wenn ich darüber nachdenke, welch faszinierende Musik dieser Mann einst zu erschaffen im Stande war. 

Oldfields bis dato finale Bankrotterklärung ist das orchestrale "Music of the Spheres" aus dem Jahr 2008. Gewiss, im Vergleich zu seinen unmittelbaren Vorgängern ist dieses mit dem chinesischen Starpianisten Lang Lang eingespielte Machwerk ein Lichtstreif am Horizont, gemessen an früheren Großtaten wirkt es jedoch wie ein lauwarmer Aufguss liegengebliebener Ideen. Zumindest kann man das Album gut beim Bügeln oder Staubsaugen hören, da es ebenso unaufdringlich wie lahmarschig aus den Boxen fließt.
Anders formuliert: Wenn Oldfield "Music of the Spheres" 1998 gemacht hätte, könnte ich ihm mehr abgewinnen, da es eventuell "Tubular Bells III" um ein Jahr nach hinten verschoben hätte.

Und nun? Nichts genaues weiß man nicht. Abgesehen von sporadischen Liveauftritten hat sich der Engländer in den letzten Jahren ziemlich rar gemacht. Dies mag nicht zuletzt dem Alter geschuldet sein - just heute feiert Mike nämlich seinen sechzigsten Geburtstag. Die Hoffnung auf eine letzte Großtat lebt noch immer, gerade Oldfield wäre angesichts seiner Verdienste ein unpeinliches Alterswerk zu gönnen.

Dass die Zeichen eher schlecht stehen, ist meine Sicht der Dinge. Glaubt mir, ich habe wirklich versucht, mir seine letzten Alben schönzuhören - es ging einfach nicht, auch wenn "Music of the Spheres" nicht gänzlich katastrophal geraten war.

Die vor kurzem erfolgte Veröffentlichung des Remixalbums "Tubular Beats" (sic!) verheißt schonmal nichts Gutes. Man wartet jede Sekunde auf HP Baxxter - und der würde die Qualität der Tracks anheben. Schlimm. Ganz schlimm.

Euch ist sicherlich aufgefallen, dass zwei Drittel dieses Textes aus ziemlich gemeinen Verrissen bestehen, und es schmerzt mich sehr, angesichts der Zuneigung, die ich für Oldfields große Alben verspüre, seitenlang auf den reichen Mann eingeprügelt zu haben. "Hergest Ridge", "Ommadawn" und "Amarok" sind Alben fürs Leben, alle anderen Platten vor "Crises" sind gut bis hervorragend. Der künstlerische Niedergang eines so talentierten Instrumentalisten und Komponisten ist schlicht traurig.

Hardcore-Fans werden mich wahrscheinlich für diesen Artikel mit Cocktailgläsern bewerfen, aber damit kann ich leben. Ich bin nicht dazu bereit, Oldfields Weg in irgend einer Weise schönzureden. Er mag sich beständig weiterentwickelt und verändert haben, jedoch ist für mich offensichtlich, dass es stetig bergab ging.

Womit wir wieder beim Anfang angelangt wären: "Wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her."

Man sollte dem Mike eine Flutlichtanlage schenken.

Ein wenig Tanzmusik aus besseren Zeiten zum Schluss:

2 Kommentare:

  1. Das Problem war schon bei Oldfield der 1980er gegeben: Meines Erachtens hätte Mike Oldfield mehr Ausbildung gebraucht. Das was wohl insbesondere David Bedford ihm vermittelt hat reicht kompositorisch eben nicht aus. Der Gestaltungswille des jungen Mannes schwand. Oldfield hätte das Zeug zum ernsthaften Komponisten gehabt, Millennium Bell finde ich übrigens ganz ok, wenn auch vielleicht unter den Möglichkeiten geblieben - wie so oft bei Mike Oldfield. Das ist einfach funktionale Musik für eine rauschende Nacht des Feierns in ein neues Jahrhundert. Oldfield blieb wie viele Leute im prog, artrock, artpop einfach zu sehr der englischen Rock- und Popmusik verhaftet. In den 1970ern hat man von einigen wie Oldfield erwartet sie würden die Brücke schlagen zwischen "klassischer" Musik, Neuer Musik und der Pop/Rocktradition. Ich denke nun einmal dass das vielleicht leichter schien als es im Endeffekt war. Viele der jüngeren und jungen Musiker gehen über über Electronica, andere über Metal. Ein Mann wie Marc Almond der harmlose popsongs machte und vielleicht als die Zukunft des Croonings gesehen wurde macht heute Projekte die viel mit Jazz und Neuer Musik zu tun haben - aber wenig mit 3 Minuten Pop.New Wave, Gothic aber auch Metal haben heute den Faden wieder aufgenommen. Oldfield und co haben die Saat eingebracht, die Ernte kam viel später. Traditionelle Rockmusik und ihre Riffftechnik hat zuviele Beschränkungen, auch im Musiktheaterbereich. Da kann man zwar eine Rocknummer hineinschreiben wie in Evita, aber auch das hat dann eine bestimmte Funktion im Stück zu erfüllen.

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