Samstag, 29. Juni 2013

Top 100: 80 - 71

80 The Streets - Original Pirate Material (2002)
Mike Skinner ist "as british as it gets". Schon nach wenigen Takten ist klar, dass hier ein Mann rappt, der sein ganzes Leben auf der Insel, die unsterbliche Königinnen und ungenießbares Essen gleichermaßen zu verehren scheint, verbracht hat. Cockney schimpft sich das gutturale Kauderwelsch, das Skinner dem Hörer entgegennuschelt - ein Londoner Dialekt, der v.a. dafür berüchtigt ist, dass ganze Silben der Sprachökonomie zum Opfer fallen müssen. Und so erzählt Mike aus seinem Leben, er berichtet von Sauftouren, die nach hinten losgingen, er durchleidet Trennungen und verkündet natürlich genretypisch, dass er den längsten Rüssel hat. Keine einzige langweilige Sekunde gibt es auf dem Debütalbum des Rappers. Mein persönlicher Lieblingstrack: "The Irony of it all" (Hier versucht Skinner einem typischen Fankurvensäufer zu erklären, warum Alkohol weniger okay als andere Rauschmittel ist, was den armen Alkoholiker völlig aus der Fassung bringt.)

79 John Frusciante - To record only water for ten days (2001)
Frusciante hatte gerade erst seine Wiedergeburt mit den Chili Peppers gefeiert, als er sich im Jahr 2000 an die Aufnahmen seines dritten Soloalbums machte. Während die beiden Vorgänger zwar tiefe Einblicke in die zerrüttete Psyche des Musikers ermöglichten, waren sie nur äußerst selten am Stück genießbar. (dies gilt v.a .für das komplett verstrahlte "Smile from the streets you hold") Auf "To record only water for ten days" erlebte man erstmals den neuen Solo-John: Immer noch verspult, immer noch verschroben, aber nun fokussierter zu Werke gehend kombiniert Frusciante hier sein unverkennbares Gitarrenspiel mit elektronischen Spielereien, die an den frühen Synthiepop von Künstlern wie Erasure oder New Order erinnern. Textlich geht Frusciante "full eso", was ob der größtenteils fantastischen Songs zu verschmerzen ist. .

78 Slayer - Seasons in the abyss (1990)
Der Bayer bezeichnet laute und ungeschlachte Musik gerne mit dem Begriff "Gschlooch". (Zu Deutsch: "Geschlage") Und wer macht das schönste Gschlooch? Slayer natürlich! Keine Band hat schnnellere Riffs, kein Drummer knüppelt erbarmungsloser als Dave Lombardo. Und dann diese Soli! Ich glaube ja noch immer, dass Kerry King und Jeff Hanneman die meisten Soli eingespielt haben, ohne den eigentlichen Track zu hören. Vielleicht sind sie aber auch einfach taub, wer weiß. "Seasons in the abyss" markierte 1990 den End- und Höhepunkt der klassischen Slayer-Periode. Neben den typischen Nackenbrechern gab es hier auch versierte Groovemonster ("Blood Red", "Dead Skin Mask") und mit dem Titelsong sogar einen Ausflug in psychedelischere Sphären zu hören.

77 Nas - Illmatic (1994)
"Illmatic"  wurde schon mit so vielen Lobhudeleien bedacht, dass ich mich fast ein wenig schäbig fühle, mich am Chor der himmelhoch jauchzenden Musikbeschreiber zu beteiligen. Aber es gibt wenige Rap-Alben, die so verdient auf dem Thron sitzen wie das Debüt des New Yorkers Nas. Die Beats sind eigentlich relativ unspektakulär: Sehr trocken, mit geschmackvollen Samples aus Funk und Soul angereichert, fast schon Low-Fi. Das, was der damals noch blutjunge Nas am Mikro veranstaltet, ist hingegen atemberaubend. Seine Stimme tanzt auf den Rhythmen, ohne hörbare Mühe flowt Nas alles in Grund in Boden, was vielleicht einmal gerne Rapper geworden wäre. Und dann diese Texte: Kein "bling-bling"-Getue, sondern virtuose Wortspielereien, in deren Verlauf Nas nicht nur die Kunst des Storytellings auf neue Höhen bringt, sondern auch weit jenseits abgeschmackter Rhythmus- und Reimschemata operiert.

76 Helge Schneider - Da Humm! (1996)
Jetzt mal so unter uns: Auf diesem Platz hätten ursprünglich King Crimson stehen sollen. Aber ich habe mir gerade noch einmal deren Debüt angehört (ich bin der Anhörer!), und ich muss einfach gestehen, dass ich "Da Humm!" von Helge Schneider besser als diesen überbewerteten Kunstrock finde. "Bonbon aus Wurst", "Wurstfachverkäuferin", das sind Klassiker! Niemand bringt die erotische Komponente der Wurst so nichtssagend auf den Punkt wie Helge. "Da Humm!" ist aber mehr als nur Lied gewordener Presssack. Es ist tiefsinnig ("Fantasie in Blau"), blödsinnig ("Blub blub"), hintersinnig ("Philosophie"), schwachsinnig ("Ich drück die Maus"), feinsinnig ("Menu Total"), die Liste der Sinnigkeiten ist ebenso lang wie Schachtelhalm. Schachtelhalm hier, Schachtelhalm da, Schachtelhalm in Amerika. Einer der letzten Künstler unserer Zeit, dieser Helge.


75 Beth Gibbons and Rustin Man - Out of season (2002)
Es gibt diese Tage, an denen man besser im Bett geblieben wäre. Kalt ist es draußen wie drinnen, es regnet selbstverständlich, weil es immer regnet. Wider besseren Wissens steht man dennoch auf, schlurft seines Weges und bereut jeden einzelnen Schritt, der einen in eine feindliche Welt hinausträgt. Eine merkwürdige Form der Trauer ist es, die man mit sich herumträgt. So als ob man sich selbst beim Sterben beobachten könnte, gibt man sich der Schwermut hin. Wenn es nur nicht so verdammt kalt wäre.


74 Underworld - Everything Everything (2000)
Das britische Duo hat mit den Studioalben "dubnobasswithmyheadman", "Second Toughest in the Infants" und "Beaucoup Fish" ohne Zweifel den Techno der 90er maßgeblich geprägt. Teils jazzig-minimalistisch und an die Wurzeln des Genres gemahnend, teils trancig-gegenwärtig gingen sie dort zu Werke, ohne dabei den Pop gänzlich aus den Augen zu verlieren. Puristen mögen daher Recht haben, wenn sie Underworld des Ausverkaufs bezichtigen. Aber wenn schon Kommerzkacke, dann so wie auf dem Livealbum "Everything Everything", welches das Ende der ersten Schaffensphase der Soundtüftler markieren sollte. Ein Rädchen greift ins andere: Die peitschenden Basslines, die mäandernden Arpeggios, der stoische Sprechsingsang von Karl Hyde. Musik, zu der sich Bewegung ergibt.


73 Mono - You are there (2006)
Schon die Römer wussten: "Variatio delectat." Die japanische Post-Rock-Band Mono macht sich allerdings wenig aus derlei Weisheiten. Album für Album variiert sie das gleiche Grundmuster: Zarte Melodien, minutenlange Crescendi, ohrenbetäubende Ausbrüche. Mehrere Mono-Alben hintereinander zu hören kann daher durchaus eine recht ermüdende Angelegenheit werden, vor allem da sich gerade in den letzten Jahren der Aha-Effekt, der durch die eruptiven Momente einzelner Stücke ausgelöst wurde, nicht mehr so recht einstellen mag. Auf "You are there" war die Welt aber noch in Ordnung, besonders das über zwölf Minuten lange "Moonlight" hat nichts von seiner kathartischen Intensität eingebüßt.

72 Cursive - The ugly organ (2003)
Clark Kent ist Superman. Peter Parker ist Spiderman. Tim Kasher ist Emoman. Der Mann, dessen Stimme frappierend an Robert Smith erinnert, leidet stets auf allerhöchstem Niveau. Das 2003 erschienene vierte Cursive-Album "The ugly organ" bietet in nur vierzig Minuten mehr Nervenzusammen- und Wutausbrüche als ein für gesund erklärter Mensch ertragen können sollte. Aber wer ist schon gesund? Und warum sollte das Gesundsein erstrebenswert sein? Eben. Und Kunst machts auch nicht besser, nachzuhören in dem zynischen "Art is hard". Also raus mit dem Scheiß. "The ugly organ" ist ein Reinigungsritual, eine Urschreitherapie für angstgepeinigte Zivilisationsopfer. "I've decided tonight / I'm staying alive / Kicking and screaming" Dick aufgetragen? Vielleicht. Aber auch die Wahrheit.

71 The Notwist - Neon golden (2002)
Die deutsche Musiklandschaft war selten mehr als eine kaum belebte Wüste. Gerade in den letzten Jahren gab es wenig Musik "made in Germany", die sich nicht in Wiederkäuertum übte. Eine der wenigen Gruppen, die trotz aller Widrigkeiten immer wieder mit innovativen Veröffentlichungen zu überzeugen weiß, ist The Notwist. Diese Combo hat in ihrer über zwanzigjährigen Geschichte zwar nur wenige Platten auf den Markt gebracht - diese hatten es jedoch in sich. "Neon Golden", das 2002 erschien, markiert für viele den Höhepunkt des Schaffens der Musiker. Eine entscheidende Rolle beim Gelingen spielte auf diesem Album neben den Gebrüdern Acher (Markus als Sänger, Micha als Bassist) Martin Gretschmann, der Kennern durch Projekte wie Console bekannt sein dürfte. Gretschmann war es, der den von spröden Gitarrenmotiven getragenen Songs einen elektronischen Anstrich verpasste, ohne die Lieder ihrer analogen Wärme zu berauben.

Samstag, 22. Juni 2013

Top 100: 90 - 81


90 Dio - Holy diver (1983)
Es gibt einige Riffs, die den Hard Rock definieren (und Gitarrenhändler weltweit wahrscheinlich bis in den Schlaf verfolgen): "Smoke on the water", "Highway to hell" und "Eye of the tiger" gehören hier sicherlich zur Spitzengruppe der Musikladencharts. Nicht minder prominent ist das Hauptriff des Songs "Holy Diver" des englischen Sängers Ronnie James Dio. Der meist mit Floskeln wie "kleiner Mann mit großer Stimme" bedachte Herr gehörte zu den wichtigsten Künstlern der britischen Rockmusik, so war er u.a. auch langjähriger Leadvokalist bei Black Sabbath. Sein Solodebüt "Holy Diver" aus dem Jahre 1983 ist eine kraftstrotzende Songsammlung, aus der neben dem genreprägenden Titelsong das metallische "Stand up and shout" und die Hymne "Rainbow in the dark" herausragen.

89 The Cure - Bloodflowers (1999)
"I'm watching me fall" schreit der Sänger. Immer wieder. Es dröhnt und kreischt, zäh fließt die Musik dem Abgrund entgegen. Das ist keine Deprimucke für unglücklich verliebte Teenager, das ist der Soundtrack existenzieller Lebenskrisen. Am Ende des elf Minuten währenden Liedes sind nur Ruinen übrig, drinnen wie draußen. The Cure mögen größere Hits geschrieben haben, und "Disintegration" mag das kompaktere Album sein - aber niemals oszillierte die Band virtuoser zwischen manischer Depression und milder Melancholie als auf "Bloodflowers". Neun Lieder über das Älterwerden, neun Lieder Lebensfrust, dem Tode entgegen. Ein ideales Sommeralbum.

88 Rammstein - Herzeleid (1995)
Deutsche können nicht grooven. Sie dreschen daher stumpf im Viervierteltakt auf die erstbesten Gegenstände ein, die sie finden können. (beim Musikantenstadl sind es zum Beispiel die eigenen Hände.) Die Berliner Band Rammstein machte Anfang der Neunziger aus der Not eine Tugend und erkor den Groove der fleißigen Bausparer zum Gerüst ihrer Musik. Stoisch hämmert die Bassdrum, maschinell fräsen die Riffs. Der Gegenentwurf zu James Brown. Und dann diese Texte: Kinderreime mit "provokantem" Inhalt, dargeboten mit gerrrrolltem R und einer Humorlosigkeit, die selbst im innerdeutschen Humorvakuum ihresgleichen suchte. "Sex ist eine Schlacht, Liebe ist Krieg". Ganz schön panne das alles. Und ziemlich geil.

87 Guts Pie Earshot - Distorted wonderland (1997)
Jetzt wird es ein wenig obskur. Guts Pie Earshot ist eine Band, die während ihrer mittlerweile fast zwanzigjährigen Geschichte mehrere Metamorphosen durchgemacht hat. Punk, Techno, Filmmusik, Drum and Bass - die stilistische Bandbreite der Gruppe war und ist beeindruckend. Heute lebt das Projekt als Duo fort, Ende der Neunziger bestand die Gruppe noch aus fünf Mitgliedern. "Distorted wonderland", das dritte Album (wenn man die Debüt-EP mit einrechnet) der Band, vereint wilde Noisepassagen mit zarten Harmonien und der puren Freude an der Dissonanz. Gehirnverdrehende Songs wie "Me Grain" oder "Several parts of life" sind keine leichte Kost, aber die Geduld, sich auf das Chaos einzulassen, wird mehr als belohnt.

86 William Shatner - Has been (2002)
Dass der Schauspieler William Shatner (bekannt wurde er als Cpt. Kirk in der ersten Star Trek-Fernsehserie) eines Tages ein Album aufnehmen würde, das nicht ins Gruselkabinett gehört, hätte man vor der Veröffentlichung von "Has Been" für unmöglich gehalten. Zu nachhaltig hatten sich Shatners erschreckend talentfreie erste musikalische Gehversuche eingeprägt. Dass er als alter Mann plötzlich doch noch gute Musik aufnehmen konnte, ist v.a. Ben Folds zu verdanken, der einen Großteil der Songs auf "Has Been" komponierte und produzierte. Und so lässt uns der grummelnde Bill an seiner Weisheit teilhaben: Er erzählt (das ist wörtlich zu verstehen) von Trauer, Fahranfängern, Entfremdung und dem Tod ("You're all gonna die!"). Und am Ende steht die Erkenntnis: "But just because you've seen me on your TV / Doesn't mean I'm any more enlightened than you."

85 Oasis - Definitely maybe (1994)
Lange bevor sich die Gebrüder Gallagher in Selbstzerfleischung übten, machten sie Musik - und was für welche! Hymnen, die von Tausenden gesungen werden müssen. Die unnachahmliche Verbindung aus jugendlicher Überheblichkeit und dem Gespür für unverschämt einprägsame Melodien ist es, was das Oasis-Debüt bis zum heutigen Tage so besonders macht. "Supersonic", "Live forever" und "Cigarettes & Alcohol" sind schon jetzt Evergreens.


84 Interpol - Antics (2004)
"We ain't going to the town, we are going to the city." Mit diesen programmatischen Worten beginnt das zweite Album der New Yorker Band Interpol. "Antics" ist urbane Einsamkeit in Songform, es ist schillernd, aber kalt. Auf Basis klassisch achtelgeschwängerter Postpunkminimalismen raunt Sänger Paul Banks seine Unmutsbekundungen, die mal zärtlich ("Take you on a cruise") und mal manisch-brütend ("Not even jail") daherkommen. Beton kann manchmal so berührend sein.

83 The Who - Who's next (1971)
Zunächst einmal ist "Who's next" einer der besten Albentitel. Dann ist "Baba O'Riley" einer der besten Opener. Und schließlich sind The Who eine der besten Bands. Aus irgendeinem Grunde werden sie meiner Meinung nach noch immer unterschätzt. Bereits Anfang der Siebziger schafften sie es, bis dato als unvereinbar geltende Stilelemente kunstvoll zusammenzuführen.



82 Tocotronic - dto. (2002)
Bei der Frage "Frühe oder späte Tocotronic?" gibt es für mich nur eine Antwort: Die mittleren! Mit dem Genöle der Frühphase kann ich mittlerweile gar nichts mehr anfangen, und auch wenn die späteren Alben mit etlichen Großtaten aufwarten konnten, stellen für mich "K.O.O.K." und das selbstbetitelte "weiße Album" die Höhepunkte der Diskographie der drei Mannen aus dem Norden dar. Die Abkehr von simplen Dreiakkordsongs und T-Shirt-Spruch-Lyrik sorgte für bedröppelte Gesichter bei jenen Hörern, die Lieblingsbands kein Recht auf Entwicklung zugestehen möchten - eine Errungenschaft, die man der Gruppe hoch anrechnen muss. Musikalisch differenzierter ging das Trio auf "Tocotronic" zu Werke, perlende Gitarrenakkorde umkreisen behutsam eingesetzte Synthesizerelemente, und von Lowtzow ließ die Eindeutigkeit hinter sich und entdeckte die Metapher. Ein Hoch der Zwischentöne.


81 Iron Maiden - The number of the beast (1982)
Kommt mir jetzt nicht mit "Metal ist peinlich, das ist Musik für axtschwingende Methornbesitzer." Dass manchen Metalfans mehr als ein Rad am Wagen fehlt, gehört hier nicht hin, es soll um Iron Maiden gehen. Denn die sind nämlich eine der wenigen Bands des Kerngenres, die sich nicht in bloßem Gepose und ungebremster Saitenonanie verlieren. Natürlich wird auf Maiden-Platten soliert und geknödelt was das Zeug hält, aber gerade auf den klassischen Alben merkt man deutlich, dass hier keine bloße Penisvergleicherei stattfindet. Es gibt kaum eine Band, der man den Spaß an der Sache so anhört wie Iron Maiden. Galoppierende Rhythmen, perfekt ineinandergreifende mehrstimmige Gitarrenmelodien und ein wie entfesselt singender Bruce Dickinson - hier passt alles.

Samstag, 15. Juni 2013

Queens of the Stone Age - ...Like Clockwork (2013)

7/10

Was war "Era Vulgaris" für ein Mistalbum. Zahllose halbgare Ideenfetzen, in wirrer Reihenfolge angeordnet. Zerhäckselte Riffschleifen, die schon beim zweiten Hördurchgang an den Nerven zerrten. Josh Homme hatte sich an der Dekonstruktion des Qotsa-Sounds versucht - und nicht viel mehr als Dekustrunst (*) zustande gebracht.

Die Erwartungen an das bereits vor zwei Jahren angekündigte Nachfolgealbum "...Like Clockwork" waren daher eher gering - auch wenn die Meldung, dass der einst geschasste Nick Oliveri, Drummaschine Dave Grohl und (kein Witz!) Elton John sich an der Neuerfindung der Steinzeitköniginnen beteiligen würden, für eine positivere Grundstimmung sorgte.

Und nun ist es also endlich da, das sechste Album der Queens of the Stone Age. Anders als erwartet ist es geworden, schwerer, dunkler - fuzzschwangeres Achtelgeschrammel sucht man beinahe vergebens, ebenso wie den minimalistischen Rocksound ihrer klassischen Alben. Schon der Opener "Keep your eyes peeled" macht unmissverständlich klar, dass die Zeit der Partysongs vorbei ist. Somnambul schleppt sich ein langsamer Bluesgroove dahin, die Gitarren dröhnen tief und bedrohlich, und über allem raunt Josh Homme eine beschwörende Melodie. Die Definition eines verheißungsvollen Openers.

Die düstere Grundstimmung zieht sich durch die meisten der zehn Lieder, einzig das schunkelnde "If I had a tail" und das euphorische "My god is the sun" wagen einen Ausbruch aus dem dämmrigen Brüten, dem Homme und seine Mannen anheim gefallen sind.

Und es gibt sie endlich wieder, jene Queens-Momente, die einen mit offenem Mund zurücklassen: Das wie aus dem Nichts sich ins Hirn fräsende Abschlussriff von "I sat by the ocean", die dramatische Klaustrophobie von "Kalopsia" und die gesamten, verflucht geilen sechs Minuten von "I appear missing".

Man merkt "...Like Clockwork" an, wie viel Zeit die Produktion verschlungen hat. Das Album strotzt vor Details (besonders toll: die Klangkaskaden im Titelsong), und auch wenn der Sound stellenweise fast schon zu überladen wirkt, ist es doch das bisher homogenste und stimmungsvollste Qotsa-Erzeugnis geworden. Der Preis für diese Homogenität ist das Fehlen jener irren Überrschungen, die gerade "Rated R" und "Songs for the Deaf" so unglaublich abwechslungsreich gemacht hatten. Einzig das irgendwo zwischen Prince, Muse und Schurrbartporno pendelnde "Smooth Sailing" geht noch in diese Richtung.

Die Queens of the Stone Age müssen aber nicht mehr Hits für Jedermann schreiben, sie haben  aufgehört, eine Band sein zu wollen, die sie nicht sein können.

"...Like Clockwork" ist pure Musikalität.


(*) Der Begriff "Dekustrunst" ist ein Neologismus, der auf den Kunstwissenschaftler M. Kernl zurückgeht. Das Wort beschreibt Kunst, die von geistlosen Ausstellungsbesuchern mit Adjektiven bedacht wird, obwohl sie eher mit Partikeln beworfen werden müsste. Man könnte natürlich auch einfach sagen, dass Dekustrunst ein Schmarrn ist.

Sigur Rós - Kveikur (2013)

Ich trage meine Vergangenheit auf der Zunge. Der bittere Geschmack begleitet mich durch Tage, deren Ende ich mir herbeisehne, bevor sie begonnen haben.Ich bin Teil einer Zeitrafferaufnahme, während ich auf Brücken stehe, vorbeifahrende Autos zähle und eine Zigarette nach der anderen rauche. Stille umfängt mich und ich stelle mir vor, wie es wäre, aus Porzellan gemacht zu sein. 

Andernorts feiern sie gewiss sich oder das, was von ihren Leben geblieben ist und tun dabei so, als wäre ihr Handeln von Belang.

Ob ich jemals wieder sprechen werde, weiß ich nicht. So müde wie mein Körper sich anfühlt, hege ich Zweifel; auch weil es Nacht geworden ist. Von fern dringt das rhythmische Geräusch großer metallener Maschinen an meine Ohren. Nicht nur ich kann also nicht schlafen.

Manche Menschen gehen gerne auf Beerdigungen. Sie sagen dann, dass ihnen der Anblick trauernder Zeitgenossen Kraft gibt, das Leben zu bestehen. Sterben werden sie trotzdem.

Ich schlendere weiter, ein einsamer Hofhund stimmt ein Klagelied an. Obwohl ich gerne mitgesungen hätte, verbleibe ich stumm. Mitten im Sommer hat mich eine Schwermut ergriffen, die ich vergessen glaubte. Es ist diese Musik, sage ich mir.

Sie hat mir gefehlt.

Andere mimen die Gefangenen ihrer beeinflussten Sinne, sie stürzen und singen und geben sich nonkonformistisch. Unter anderen Umständen hätte ich mich ihnen vielleicht sogar angeschlossen. Aber nicht heute, es gibt etwas viel Wichtigeres zu feiern.

Der Lärm in meinem Inneren stimmt mich froh, denn er füllt die Leere, die sich in mir breitgemacht hatte. Endlich wieder mit geschlossenen Augen spazieren gehen.

Und ankommen.

Meine Top 100 - Die Plätze 100 bis 91


Warum gibt es diese Liste?
Diese Liste existiert, weil ich es endlich fertig gebracht habe, mir die Mühe zu machen, sie zu erstellen. Ich hatte schon lange vor, meine Lieblingsplatten in eine mehr oder minder zufällige Reihenfolge zu bringen - nun habe ich tatsächlich mal die Muße gefunden, mich ein paar Stunden hinzusetzen und mir den Kopf zu zerbrechen. Das Schwierigste war tatsächlich, auf 100 Platten zu kommen - mir gefallen zu viele Alben gleich gut, was das Auswahlverfahren für die hinteren Plätze der Top100 ziemlich zäh gemacht hat. An dieser Stelle möchte mich auch bei Jan (sein Blog: Pop Crimes) bedanken, mit dem ich vor einigen Wochen stundenlang über Lieblingsalben diskutiert habe.

Persönlicher Geschmack vs. historische Relevanz - was überwiegt hier?
Die meisten Platten dieser Liste stammen aus den letzten 20 Jahren, was gewiss mit meinem Alter und meiner Hörbiographie zu tun hat. Die älteren Alben, die es in meine Aufzählung geschafft haben, sind aber nicht ausschließlich dort, weil ich sie für historisch relevant halte, ganz im Gegenteil. Viele Künstler früherer Dekaden habe ich erst vor kurzem entdeckt, und ich weiß, dass ich noch immer nur an der Oberfläche kratze. Gerade bzgl. obskurerer Bands aus den Siebzigern und Achtzigern besteht noch immenser Aufholbedarf.
Selbstverständlich mag ich jedes Album, das ich in die Top100 aufgenommen habe - manches mehr, manches weniger. Es geht mir bei dieser Liste nicht nur um das bloße Gefallen, sondern auch darum, wie wichtig ein Album für mich persönlich war - sei es, weil es mich in bestimmten Lebenssituationen begleitet hat, oder weil es mir Türen zu anderen musikalischen Strömungen geöffnet hat.

Welche Genres sind drin, welche nicht?

Die meisten Tonträger, die es in die Liste geschafft haben, stammen aus den Bereichen Rock, Pop und Hardrock / Metal, da ich diese Genres seit jeher am intensivsten verfolge. Dennoch werdet ihr auch auf einige Jazzplatten, elektronischen Kram, psychedelische Eskapaden und auch das eine oder andere HipHop-Album stoßen. Die einzigen Genres, die ich überhaupt nicht hören kann, sind Metalcore (Staubsaugermusik), politischer Deutschrap (Fremdscham am Anschlag), Bierzeltmusik (siehe pol. Deutschrap) und alles, was sich Easy Listening schimpft.
Ja, Schlager höre ich - dafür finde ich z.B. schon Udo Jürgens ältere Songs viel zu gut. Und Hansi Hinterseer ist auch toll, hat er mir doch gezeigt, wie schlimm es wirklich um die Menschheit bestellt ist.


So, genug gelabert. Los gehts:
 

100 Melanie C - Northern Star (1999)
Ja, ich weiß, was ihr jetzt denkt. Aber "Northern Star" ist wirklich ein gutes Album. Und es ist eine ideale Nummer 100. Es ist ja fast schon ein wenig tragisch, dass eine so hübsche Stimme wie die der Frau Chisholm so selten wirklich schöne Lieder singt. Lieder wie "Suddenly Monday" oder "Goin' down", kleine Popperlen für Menschen, die sich mit Freude peinliche Lieblingsplatten zulegen.




99 The Chemical Brothers - Surrender (1999)
Mehr Material aus dem Jahre 1999. Sicherlich nicht gerade das undergroundigste an elektronischer Musik, aber so unfassbar eingängig und elegant produziert, dass man beinahe jeden Track feiern muss. Besonders toll: Das von Noel Gallagher eingesungene "Let forever be" und das ätherische "Asleep from day" mit Hope Sandoval am Mikrophon.






98 Aereogramme - A story in white (2001)
Diese Platte ist eigentlich nur wegen eines einzigen Songs in meiner Liste gelandet: "Post-tour, pre-judgement" ist eines meiner absoluten Lieblingslieder. Zärtliche Harmonien, engelsgleicher Gesang - und dann kommt eine Lärmwalze, die alles und jeden aus dem Weg räumt. "Fuck the devil. Fuck myself." Größtmögliches Kino.






97 L7 - Bricks are heavy (1992)
Wenn vom Grunge die Rede ist, werden leider häufig nur noch die kommerziell erfolgreichsten Bands wie Nirvana, Soundgarden oder Alice in Chains genannt. Eine Schande, denn wird so eine der besten Gruppen jener Jahre sträflich ignoriert. Das ist Punkrock, wie er wirklich sein muss. Roh, aggressiv, dissonant und kompromisslos.






96 Bohren und der Club of Gore - Black Earth (2002)
Langsam. Noch langsamer. Zäh fließen Klangfragmente aus den Boxen, ein Schlagzeug wird gestreichelt, der Bass grummelt knapp oberhalb des subsonischen Bereichs. Plötzlich ist es da, das Saxophon. Es klagt, es leidet. Die Zeit ist stehengeblieben, es ist zappenduster. Bohren und der Club of Gore, eine deutsche Band aus Westfalen, machen Doomjazz. Und sie meinen es verdammt noch mal ernst.




95 Red Hot Chili Peppers - Californication (1999)
Nachdem John Frusciante sich drogenbedingt beinahe ins Grab gebracht hatte, war die Ungewissheit anno 99 groß. Würde er noch einmal zu alter Form zurückfinden können? Die Antwort fiel eindeutig aus: Er würde. "Californication" ist v.a. wegen Frusciantes aufgekratzem Gitarrenspiel das roheste Peppers-Album, wie entfesselt ließ die Band die funkigen Ficklieder der Vergangenheit hinter sich und erschuf unwiderstehlich groovende, zeitlose Songs. Selbst der ansonsten eher minderbemittelt herüberkommende Anthony Kiedis schaffte es, einmal richtig gute Texte zu schreiben. (man höre den Titelsong oder das wunderschöne "Road trippin'")


94 Burial - dto. (2005)
Die Kunst des Weglassens beherrschen nur wenige Musiker. Zu verlockend ist es, eine Idee zu ertränken. Das Burial-Debüt ist so etwas wie eine Gebrauchsanweisung für erfolgreich angewandten Minimalismus: Skelettierte Rhythmen, spärlich eingesetzte Töne, weniger ist hier alles. Musik für neonbeleuchtete Bauruinen. Soul für Roboter.






93 Maserati - Inventions for the new season (2007)
Postrock kann manchmal schreklich peinlich sein. Da wird geschwelgt und gerifft, bis kein Auge mehr trocken ist und jegliche emotionale Regung mit dem Dampfhammer aus dem Hörer geprügelt wurde. Nicht so bei Maserati: Mäandernde Gitarrenläufe, viel Hall, viel Delay. Und untendrunter diese unwiderstehlichen Bassläufe, die einem ein debiles Grinsen ins Gesicht zaubern, während man sich tanzend in der Musik verliert.





92 Trio - dto. (1981)
Trio waren so viel mehr als "Da da da". Protopostmoderne Schlagerpunks mit den großartigsten Liveauftritten seit Elvis. (ob Presley oder Costello dürft ihr euch aussuchen) Ein Furz ins Gesicht der deutschen Hitparade. Ob Hardrock oder Kirmesmucke: Das Trio liefert geil ab.







91 Townes van Zandt - Our mother the mountain (1969)
Niemand beherrschte den wehklagenden Country-Singsang besser als der viel zu früh verstorbene Townes van Zandt. Seine musikalisch an sich höchst konventionellen Songs lebten von dieser unverkennbaren Stimme und Texten, die nur auf den ersten Blick oberflächliche Heimatgedichtchen waren.







Der zweite Teil erscheint nächsten Samstag!