Montag, 21. Oktober 2013

Top 100, 20: Johnny Cash - At Folsom Prison (1968)


Schon lange Zeit bevor sich Johnny Cash mit den von Rick Rubin in die Wege geleiteten "American Recordings" ein endgültiges Denkmal setzte, galt der Mann als Volksheld in God's own country. Streitbar ob seiner diversen kaum im Zaum gehaltenen Obsessionen, und dennoch so aufrecht und authentisch, dass ihm schon in jüngeren Jahren allerhand Legenden angedichtet wurden. Cash musste sich nicht durch aufwändiges Gehabe mit seinem Publikum gemein machen, alles was er benötigte, waren seine Stimme, seine Songs und ein paar simple, ritualisierte Gesten und Ansagen. 

In Zeiten, in denen die Rockmusik explodierte und beinahe wöchentlich revolutionäre Platten veröffentlicht wurden, war Country allerdings nicht gerade der heißeste Scheiß. Dennoch hatte Cash schon damals eine Sonderrolle inne, sowohl im Country-Genre als auch als "Überlebender" der Fifties. Während andernorts z.B. Elvis Presley sich als Zirkusclown neu erfand, blieb Johnny Cash sich und seiner Musik treu. Akustikgitarre, Bass, Schlagzeug, Mundharmonika - kein Schnickschnack, keine überflüssigen Spielereien. 

Das, was Cashs Herangehensweise an Country-Musik so einzigartig macht, ist seine Bereitschaft zur totalen Reduktion. Einer Dampflok gleich rollt der Wechselbass, belgeitet vom monotonen Rattern der "rhythm section". Gerade auf dem Folsom Prison-Livealbum erlebt man diesen Purismus in beinahe jedem Song.

Doch der Reihe nach: Der Gefängnisauftritt sollte Cashs ins Stocken geratene Karriere neu ankurbeln - nicht zuletzt aufgrund seiner Affinität zu diversen Arzneimitteln hatte sich John R. Cash in der Öffentlichkeit rar gemacht und auch seine in konstantem Abstand veröffentlichten Alben wollten sich nicht mehr so recht verkaufen. Der Gig im Knast war also auch als PR-Maßnahme gedacht.

Trotzdem hätte das Unterfangen furchtbar schiefgehen können: Vor Häftlingen zu spielen war mit einigen Risiken verbunden. So hätten diese beispielsweise den reichen Countrystar schlicht ablehnen und auspfeifen können, so hätte andererseits auch die Gefängnisleitung das Konzert jederzeit unterbrechen können. Doch nichts von alledem geschah, worüber man als Hörer heilfroh sein muss.

Bereits der Jubel, der dem Barden nach den zum Markenzeichen gewordenen Einleitungsworten "Hello, I'm Johnny Cash" entgegenschlägt, ist frenetisch. Das Publikum hat auf Cash gewartet, und sie feiern jeden Takt des eröffnenden "Folsom Prison Blues". Die "Tennessee Three" spielen wie eine gut geölte Maschine, während Cashs Stimme sonor und volltönend über den Songs thront.

Die Songauswahl ist perfekt auf den Auftrittsort zugeschnitten: Lieder über das Gefängnis, Lieder über Mord und Tod, Lieder über Einsamkeit, Sehnsucht und Verzweiflung. Cash spielt lässig-provokant mit seinem Publikum und der sicherlich besorgten Gefängnisleitung, indem er z.B. süffisant über das nicht genießbare Wasser, das im Gefängnis ausgeschenkt wird, herzieht. Sein Publikum findet das selbstverständlich großartig.

Cash steigert sich von Song zu Song, spätestens bei "25 minutes to go" hat er den Laden komplett im Griff. Besser hat seitdem niemand von seiner eigenen Hinrichtung gesungen. 

In der zweiten Konzerthälfte erklingen auch einige Balladen, die die Setlist um einige melancholisch-düstere Momente ergänzen. Und selbst Cashs damals noch Nicht-Ehefrau June Carter kommt für zwei Songs auf die Bühne, wobei besonders die entfesselte Version von "Jackson" noch heute ein Grinsen aufs Gesicht zu zaubern vermag. 

"At Folsom Prison" ist das definitive Johnny Cash-Album. Es zeigt einen ebenso vielseitigen wie souveränen Geschichtenerzähler, der mühelos eine ganze Halle zum Brodeln bringt.

Keep the train rollin'.

PS: Es wurden übrigens zwei Auftritte für das Album aufgenommen, wobei nur "I got stripes" und "Give my love to Rose" dem zweiten Auftritt entstammen.

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