Donnerstag, 30. Januar 2014

Top 100, 17: Bright Eyes - Lifted (2002)

Einige Alben kommen genau zur rechten Zeit. Als ich gerade 17 geworden war, befand ich mich in einer reichlich konfusen Lebensphase. Die Pubertät hinter mich lassend war ich zwar nicht mehr ganz so verstört wie noch einige Jahre zuvor, dennoch empfand ich das Leben als fortwährende existenzbedrohende Krise. Meine Desorientiertheit und emotionale Instabilität machte mich daher empfänglich für Musik, die ich bis dato nicht einmal mit der Kneifzange angefasst hätte. Bevor ich erwachsen wurde, musste Musik stets laut und verzerrt sein - eine selbstverschuldete Geschmackseinschränkung mit der ich sicher nicht alleine groß geworden bin.

Ich hatte 2001 begonnen, regelmäßig das Musikmagazin VISIONS zu kaufen, und ich verdanke dieser Zeitschrift in Bezug auf meine Hörbiographie immens viel. Da ich privat noch keinen Internetzugang besaß, musste ich mir meine so dringend benötigten Informationen zu neuen Bands durch das Musikfernsehen und eben Presseerzeugnisse holen. Als im Herbst 2002 ein Album mit dem ellenlangen Titel "Lifted, or: The story is in the soil, keep your ear to the ground" in den Schönheiten des Monats auftauchte, war mein Interesse rasch geweckt. Depressiv und verletzlich sollte die Musik klingen, mit deutlich hörbaren Country-Einflüssen, aber auch schräg und verstörend. Ideal also für einen wirren Teenager.

Manche von euch werden sich vielleicht noch an jene Zeit erinnern, in der man beim Müller CDs probegehört hat. Mit einem Stapel Tonträger vor sich stand man an der ungemütlichen Kasse und registrierte belustigt, wenn nebenan jemand einen BRAVO Hits-Sampler durchhörte. (Ernsthaft: Was gibt es da durchzuhören? Ob auch wirklich alle Lieder drauf sind?) Mein erster Kontakt mit "Lifted" fand an genau an so einem Kassentresen statt. Ich weiß noch genau, wie mich das erste Lied "The big picture" umgehauen hat. Die anfängliche Irritation, die von dem hörspielähnlichen Intro hervorgerufen worden war, wich schnell blankem Staunen. Da sang ein Typ acht Minuten lang jämmerlich falsch zu einer denkbar unvirtuos gespielten Gitarrenbegleitung, bis ihm schließlich die Stimme entzwei ging und das Lied inmitten des Höhepunktes abbrach - und mir gefiel es.

Ich kaufte das Album, und es wurde ein treuer Begleiter während der folgenden Jahre. Es ist zwar angebracht, darauf hinzuweisen, dass Oberst auf "Lifted" teilweise mit dem Gejammer über die Stränge schlug, gestört hat mich das jedoch nur äußerst selten. Zu berührend waren die teils opulent orchestrierten, teils entwaffnend simpel gehaltenen Lieder. Lieblingstracks möchte ich gar nicht benennen, "Lifted" ist ein Album, das erst in Gänze gehört seine Schönheit entfaltet.

Dennoch wäre es unangebracht, nicht wenigstens einige Songs herauszugreifen, um die ganze emotionale Wucht und Bandbreite des Albums zu illustrieren. So thematisiert Oberst in dem martialisch dahinstampfenden "Method Acting" die Misere, in der sich wohl jeder Künstler früher oder später wiederfindet: Eingekeilt zwischen Ausdruckszwang und Publikumserwartung ist man häufig zu einer Selbstinszenierung gezwungen, die mit Selbstverleugnung einhergeht. Trotzdem gilt es, stehenzubleiben und weiterzusingen. Stille gibt es früh noch genug zu beweinen.

Der Grundtenor von "Lifted" ist melancholisch, teils sogar offen depressiv. Wenn Conor in "Waste of paint" die Gitarre würgt und dabei in ellenlangen Strophen von Identitäts- und Schaffenskrisen berichtet, lässt das nur jene kalt, die Balladen von Bryan Adams für gelungene Liebeslieder halten. Überhaupt, das Liebeslied. Eine Unmöglichkeit, an der sich dennoch jeder Songwriter früher oder später versucht. Oberst gelingen mit dem sehnsuchtsvollen "You Will. You? Will. You? Will. You? Will" und dem zwischen Hoffnungslosigkeit und Trotz pendelnden "Laura Laurent" zwei besonders berührende Exemplare jener Liedgattung. 

Am Ende steht ein Satz, der das gute alte "All you need is love" in ein neues Licht rückt: "To love and to be loved - let's just hope that is enough." Es muss genug sein. Es muss einfach.

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